Christian Uetz «Von mir ist nur der Gedanke»

Ich habe kein Recht,
nicht Nietzsche zu sein, nicht
Kierkegaard, nicht Rilke. Auch ohne
Werke. Ich habe kein Recht, nicht wahnsinnig
zu sein, nicht zerspringend, nicht zerrissen. Auch
ohne Erfolg. Kein anderer ist schuld
am mich vom Anderen vom
Anderen abbringen lassen, wo
auch immer.

Von mir
ist nur der Gedanke, und der
ist nicht. Nicht da, nicht ich. Also bin ich nicht.
Nur du, und auch du nur mit allen gebrochen,
alle Zeit auf den toten Punkt gebracht, den schwarzloch
gerochenen. So sterngenau strahlt deines maßlos
ermordeten Morgens unvermoderbare
Mittagsverzückung aus den Lichtporen der
augenübersäten Nacht.

Ich trinke dich in mich
zurück. Ich sauf dich Tag und Nacht.
Und wiederum seufzst du mich in dich
hinaus. Du bist ja draußen in mir drin. Ich bin ja völlig
außer mir aus dir. Das macht ja den ununterscheidbaren
Unterschied zu meiner unverlassbaren Unentscheidbarkeit,
dass ich dich Lichttrunkene noch nicht, nicht und nicht mehr hell
sehe. Doch Himmel unserer höllischen Gottgleichheit, du uns in Funken
Getunkte, die du nicht bist, bist das
Werde, der du bist. Ich bin nicht
so. Du allein gibst mir das Unrecht, so
zu sein, wie ich bin. Und
so bin ich nicht.
Wenn es ist,
ist es immer, und es ist
nicht. Wenn du bist, bist du überall, und
du bist nicht. In dem Ich bin bist du, indem
ich bin nicht da. Und immer schlägst du unser
Du Nichtsein nieder. Da bin ich wieder, und kann mich
zum Büßen noch einmal entblößen. Bringt es das?
Nicht wirklich. Wirklich nichts als das ist
wirklich, worin wir allein uns begegnen,
im Unwirklichen von allem. Bringt
dich das näher?
Vollkommen.

Wo ich nicht
bin, bist du, wenn
ich weg will. Womit zeigst
du dich nicht? Mit der Zeit,
mit der abständigsten, durch
die abgestrittenste Lust, die
allmählich abseitigste, ab
schaumgeborenste.

 

secession Verlag

Der 1963 in Egnach am Bodensee geborene Christian Uetz ist studierter Philosoph, und er glaubt an keine Wahrheit ausserhalb der Sprache. Ob im Gedicht oder in der Prosa: Sein Tanz an ihren Rändern ist immer auch ein Seiltanz über den Abgründen der Existenz. Und er gilt als Virtuose, wenn es um die Intensität der Sprache geht. Auswendig und in einem rasenden Tempo rezitiert er seine Texte bei Auftritten, dass einem Hören und Verstehen vergeht. Das ist gewollt. Einzig die Wortkraft zählt und die Suggestivkraft der Sätze,ckaum deren Inhalt. In seinem Gedichtband «Engel der Illusion» formuliert Uetz spielerisch und doch souverän Gedichte um gewichtige Themen: um die Präsenz des Anderen im Selbst, um Anwesenheit und Abwesenheit, um Negativität und Transzendenz. Mit seinen bildgewaltigen, selbstverlorenen und dabei tief nachdenklichen Gedichten sucht Christian Uetz in der Sprache nach der verborgenen Präsenz dieser Engel der Illusion, um ihr Scheinen erfahrbar zu machen. Was seine Texte so hervorbringen, sind Ekstasen der Begierde und die Trunkenheit der Vernunft. Es ist der Wahnsinn des Tages. Ihr Fluchtpunkt bleibt dabei stets eine mitreissende Affirmation des Lebens und der Sinnlichkeit, ein Lob der Sprache als derjenigen Kraft, welche die Illusion als Wahrheit, das Jenseits als Teil des Diesseits erkennbar macht.

Beitragsfoto © Internationales Literaturfestival Leukerbad