Sepp Mall «Holz und Haut»

Liebeslied morgens

Wenn die Nacht dann / fällt
sind es gleich Millionen km
im Quadrat
Wie sollen zwei Zeilen / dies alles
durchmessen
mit ihren Zollstöckchen und Vers-
mäßchen
Wer Glück hat / hält
sich an den Rand der Dateien
(in den Dämmerschleifn der Ufer)
hofft dort deine Lippen zu
finden (um 5 Uhr morgens)
: die Landmassen des Tags
Wo sonst / lässt sich auf-
tauchen
im ersten Licht sich schütteln
wie ein Hund
: allem Unheil entronnen

 

Weiter nichts

Ein (Jänner) Tag / der hinausläuft
ins Grau
Wir trinken aus Leichtsinns-
Tassen / ver-
steckn uns hinter Kosenamen
Warum nicht (alles) aufzählen
die vertanen Jahre
all die entglittnen / Möglichkeiten
: und plötzlich alles hergeben wollen

Auf deinen Wangen Granatapfel-
farbn
und im Hecheln der Sekunden
(Liebesschwüre)
: wieder warten auf Schnee

 

Rien

Wir aßen zu Mittag
aßen zu Abend
Nichts als ein Hinhalten der Stunden

Dann irgendwann / das Zu-
nachten buchstabiern
lentement (Silbe für Silbe)
Und dein Kopf in meinem Schoß
: Nichts / nichts
über die Städte zieht Rauch
Flüchtig / wie alles

 

In die Nacht

Das Versprechen / sich nicht
aus den Augen zu verliern
Die Sträucher / die sich ducken im Wind
Und Schnee / der auf Felder fällt
(in glänzende Ackerfurchen)
Weit draußen die Häuser zusammen-
gedrängt

Schritt für Schritt verliern die Bilder
an Farbigkeit
verblassen im milchigen Licht
im Flockengestöber / das übers Hirn
zieht
: doch noch / ist es nicht

 

Sepp Mall «Schläft ein Lied», Haymon, 2014, 80 Seiten, CHF 24.90, ISBN 978-3-7099-7142-0

Sepp Mall, geboren am 1955 in Graun/Südtirol, lebt und arbeitet in Meran. Autor, Lehrer und Herausgeber. Schreibt vor allem Lyrik und Romane, ist aber auch als Übersetzer sowie mit Hörspielen und Theaterstücken an die Öffentlichkeit getreten. Diverse Preise und Stipendien, u.a. Meraner Lyrikpreis 1996. Für die Arbeit an dem Gedichtband „Holz und Haut“ (2020) erhielt Sepp Mall das Grosse Literaturstipendium 2017/18 des Landes Tirol.

Im kommenden Herbst erscheint bei Haymon neu: «Holz und Haut» Gedichte.

Beitragsbild © Claudia Pircher