Walter Fabian Schmid «Die Lost Places zucken noch»

TOKAMAK 

Du hast unseren Frieden in den Vorhof
gepflanzt. Abgesteckte Beete. Wie Kammern,
aus denen unbekannte Namen flimmern. 

Wir Auferstandenen steigen weiter und weiter auf. 

An den Rändern schwarzer Löcher verglühen
unsere Herzen. Nur Plasma. Energie
für unsere Kinder, die nie mehr kommen.
Die nie diese Wärme spüren. 150 Millionen
Grad. Gemessen in der Zeit,
die wir als Menschen verbrachten.

 

AUCH TOURISTEN VERSTRÖMTEN WÄRME 

Im Sonnenbrand der Winteräpfel
warfen die Meere Blasen,
verbrühten die Gletscher und
verdampften an der Himmelskruste. 

Wir sassen in unseren Autos
und bestaunten die Feuer. 

»Was für ein Postkartenmotiv!« 

Auf halbem Weg ging die Sendung verloren.
Auch unsere Restsouvenirs gingen zu Bruch. 

Tollpatschig fielen die Felswände um.
Berge besuchten uns öfter
im Tal. Die Gäste fuhren schon früher
mit E-Bikes dem Sturz entgegen. 

Im Winter legte sich Frost
über das Magma. Ein roter
Spiegel voller Risse,
die blicken liessen
auf die eingeschmolzenen
Feldspaten abgewanderter Bauern. 

 

WIR TRUGEN DÜNNERE HÄUTE 

Seen schwitzten das Klima aus.
Wälder nur qualmende Stummel. 

»Wer verträgt schon diese Gluten?«

Sommerfrischler bestiegen ausgekühlte Halden.
Ihr Schweiss schwemmte Fahrbahnen frei
für Aschetransporter. »Feinstes Karbon!« 

Die Staublungen der Erdhörnchen keuchten.
Schwer scharrten sie alte Apparate aus.
iPhones auf Stand-by. Ein Beistand
für grausame Bilder. 

Wir zählten die Baumringe unter den Augen,
als die Schattenseite der Äpfel schon brannte. 

Die Luft trug einen reizenden Feststoff
aus und wir schlüpften in dünnere Häute.

 

MAN HÄNGTE UNS EINFACH SO AB 

In unseren Stuben lagen die
Leitungen blank. 

Aus Dielen rieselten Schritte.
Wege, die sich wie Frassgänge
in unser Holz gekerbt hatten. 

Erinnerung legte sich
nur noch den Tieren in die Instinkte. 

Dem Marder, der nach den Kabeln schürfte,
um am versiegten Stromfluss zu lecken.

Vom Berghang rollten
verlorene Echos, krochen durch
Röhren unserer Fernseher,
die niemand mehr reparierte.

Abgehängt hinterliessen auch wir
nur die hellen Flecken auf der Tapete.

 

WIR WURDEN ZU STAUB,
AUS DEM WIR UNS MACHTEN 

Im Herbst kam den Feldern
das Suppenkraut hoch. 

Mit schiefem Kreuz
humpelten Alte zur Kirche. 

Der Mief holte sich noch einmal Luft
von entlaufenen Kindern. 

Wir aber waren schon abgefahren
mit unseren Zweitaktern und
holten die Auferstandenen
unmöglich ein.

 

(Die wiedergegebenen Gedichte sind aus «Die Lost Places zucken noch», edition offenes feld. Dortmund 2023.)

Walter Fabian Schmid, geboren 1983 in Regen, ist Schweizer und Deutscher und lebt im Kanton Bern. Er studierte Diplom-Germanistik in Bamberg, arbeitete als Redaktor, Literaturvermittler und Texter. Er erhielt den Calwer-Hermann-Hesse-Preis 2010 als Mitredaktor der Literaturzeitschrift poet, war nominiert für den Leonce-und-Lena-Preis 2011 und 2015 sowie den open mike 2014 und den Dresdner Lyrikpreis 2020. Gemeinsam mit Tristan Marquardt gründete er die Lesereihe meine drei lyrischen ichs.

Beitragsbild © Sascha Kokot