Boglárka Horváth «Begegnung mit Graf Dracul»

Da stehe ich.
Ich stehe da und wache.
Unter meinen nackten Füssen bebt die Welt.
Es ist meine Welt, die bebt.
Erschüttert vom Gedankenhauch an meine Erinnerungen.
Vom blossen Hauch nur.
Allein in der Fremde, stehe ich da.
Ich wache am Tag und … nein … des Nachts wache ich nicht.
Des Nachts gebiert mich die Erde zum Tanz
und es tanzt mich zum Rhythmus meines Herzschlags in meine Erinnerungen hinein. Meine Bilder trinken mich gierig.
Ich lasse mich verschlucken, nicht wissend, wo ich landen werde.
Bis jetzt ging es immer gut – ich kam nach jedem Tauchgang wieder zurück.
Ich tauche tief.
Kalt ist es, dann plötzlich warm.
Ströme, die sich abwechseln, während ich immer tiefer tauche und mich frage,
ob ich nicht Luft holen müsste.
Ich tauche in die Bilder meiner Ängste:
Damals
In Transylvanien.
Als Zeit noch keine Rolle spielte in meiner Welt.
Begegnete ich Graf Dracul.
Am helllichten Tag.
Auf einer steinig-staubigen Strasse kam er mir entgegen.
Nichts als eine Trauerweide in der Landschaft.
Der Wind spielte mit ihren Ästen.
Graf Dracul streifte mir mit seinem Blick die Kleider vom Leib.
Mir war, als ob ich durch seinen Blick hindurch mich selbst sah:
Nackt und bewegungslos stehe ich da.
Aus meinem Auge fliesst eine Träne Richtung Mund.
Ich schlucke sie und schmecke Blut.
Mein Blut. Sein Blut.
Eine ungeheuerliche Kraft durchfährt meinen Leib.
Die Trauerweide erzittert. Ich hätte sie ausreissen können.
Stattdessen breite ich meine Flügel aus und Flügelschlag um Flügelschlag
steige ich höher, immer höher.
Eines Raben gleich erhebe ich mich und ziehe meine Kreise,
während ich Schatten auf mich selbst werfe.
Ich geniesse den Flug.

Und dann plötzlich lande ich sanft.
Die Trauerweide nimmt mich schützend unter ihre Äste und spricht:
«Bald wirst du aufgestanden und losgegangen sein.
Deinen Leib gesäubert,
deine Wunden geleckt,
einen Fuss vor den anderen gesetzt
und deine Spuren hinterlassen haben.»
Ich nehme Abschied von der Trauerweide und stehe auf.
Der steinig-staubige Weg unter meinen nackten Füssen.
Der Blutstropfen Graf Draculs in meinem Herzen.
Da stehe ich.
Ich stehe da und wache.
Unter meinen nackten Füssen bebt die Welt.
Und ich frage mich, warum ich nackt bin und warum ich tief tauche und ob ich nicht Luft holen müsste. Dann diese Stimme, die sagt: «Lass dich verschlucken!»
Ein Rabe, der mit seinen Flügeln den Staub aufwirbelt.
Ich möchte fliegen.
Ich spüre eine Kraft, alsob ich Bäume ausreissen könnte, aber ich kann mich nicht bewegen. Ich kann weder fliegen noch tauchen. Ich komme keinen Schritt vorwärts und ich höre mich schreien.
Doch dann plötzlich lande ich sanft.
Wiegend die Strahlen
Wärmend die Wellen
Berührungen, die
Zärtlich erhellen
Meine Sinne.
Ich weiss wo ich bin
Ich kenn diesen Ort
Hier ist der Anfang
Das Leben, das Wort
Getragen, gewärmt und genährt
Mein Kind sich noch heute verzehrt
Nach mehr
Nach viel
Doch für den Moment
Liegt sie still
die Welt.

Boglárka Horváth stammt aus Siebenbürgen (Rumänien). Im Alter von sieben Jahren floh sie mit ihrer Familie nach Österreich. Sie absolvierte ihre Schauspielausbildung in Wien und Budapest. Sie studiert Dramatherapie und schreibt Texte für Theaterprojekte. Sie ist Mutter von zwei Kindern, lebt und arbeitet in St. Gallen. 

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Beitragsbild © Ana Hofmann