Die verrückteste Tat meines Lebens war der Kauf einer Autowaschanlage. Wozu braucht eine Schriftstellerin eine solche, da sie durch ihre Phantasie flaniert? Die Antwort ist einfach. Man muss essen, man hat eine Aufgabe, in meinem Fall eine Reihe von Aufgaben. Ich muss aus dem Reich der Phantasie zurückkehren und von einem zum andern Moment mit beiden Füssen auf dem Boden stehen, denn ich betreue ein Areal. Darauf gab es in den 80er Jahren eine kleine Autowerkstatt mit handbetriebenen Benzinsäulen. Da rundum Grosstankstellen aus dem Boden schossen, kämpfte der Betrieb ums Überleben. Seine Waschstrasse war veraltet. Und es existierte ein bindender Vertrag mit einem weltweiten Benzinkonzern, der diesem eine funktionierende Waschanlage garantierte.
Die Situation war verzwickt!
Es musste eine Autowaschanlage gekauft werden, die mehr Autos in kürzerer Zeit sauberer wäscht. Die Finanzierung von mehr als einer Viertelmillion Franken machte mir Bauchweh. Schreiben ist vergleichsweise erholsam, Geld spielt da nie eine Rolle. Doch jetzt, im Leben?
Ich beschloss das Risiko einzugehen. Der Benzinkonzern schickte mir einen Mann aus der Direktion. Er verhandelte ungern mit einer Frau, die nichts vom Business verstand. Autowaschanlagen waren seine Domäne. Er holte für die Kleingarage eine Offerte ein. Die schickte er mir. Und übersah, dass er auch die Offerte einpackte, die das Fabrikationswerk an ihn gerichtet hatte. Sie belief sich auf den halben Preis. Dies alarmierte mich. Ich suchte nach einem Anbieter ohne Verknüpfung mit dem Benzinkonzern. In Mailand wurde ich fündig. Der Mann aus der Direktion zweifelte, dass Italiener eine solche Anlage bauen können, wollte mich aber zum Werk begleiten. Doch ich wartete vergeblich am Bahnhof und fuhr schliesslich allein dem Gotthard zu.
Der Ingenieur führte mir seine zischende, spritzende Anlage vor. Ich erinnere mich, dass er sich vorbeugte, um im Lärm meine Meinung zu hören und ich nur sein triefendes pechschwarzes Haar anstarrte. Ich hatte keine Meinung. Danach legte er farbige Bürstenfäden vor mich hin. Man könne Duft beifügen, sagte er eifrig. Minze, Jasmin, Vanille, was immer ich möge. Dies liess mich lächeln. Da hielt er mir den Federhalter hin. Und ich unterschrieb.
Die Monteure beeindruckten mit ihren immer sauberen Überkleidern und ihren Arien, die aus dem Tunnel klangen. Der Autowaschtunnel nahm den Betrieb auf. Bald alarmierte eine Störung. Die Mailänder reisten an, behoben sie, wuschen die Hände und reisten in blitzsauberen Überkleidern wieder ab. Eine Freundin erzählte, sie habe beim Autowaschen ein Knacken gehört. Da sei sie aus dem Tunnel gerannt. „Ich wollte nicht im Auto zerdrückt werden.“ Sie übertrieb masslos. Das Gerücht verbreitete sich, diese Autowaschanlage sei lebensgefährlich. Das war fatal geschäftsschädigend. Vor Schreck vermochte ich mich nicht einmal ans Schreiben zu klammern, obwohl mir das in schlimmen Situationen ein Trost ist, da ich mir mit Wörtern erbitterte Feindinnen vom Hals schaffen kann. Das Verschrotten der Autowaschanlage war dann meine zweitverrückteste Tat.
Manchmal weht die Erinnerung mich an. In meinem Roman „Glänzende Aussichten“ habe ich aus dieser Erinnerung eine neue und ganz eigene Welt geschaffen.
27.10.2017
Margrit Schriber wurde 1939 in Luzern geboren, als Tochter eines Wunderheilers. Sie arbeitete als Bankangestellte, Werbegrafikerin und Fotomodell. Margrit Schriber lebt heute als freie Schriftstellerin in Zofingen und in der französischen Dordogne. Sie erhielt mehrere Auszeichnungen, unter anderem den Aargauer Literaturpreis für ihr Gesamtwerk. Ihr letzter Roman „Schwestern wie Tag und Nacht“ ist bei ProLobro erschienen, eine raffinierte Beziehungsgeschichte in Krimiform. Ende Januar erscheint bei Nagel & Kimche ihr neuer Roman. Erste Informationen finden sich auf der Webseite der Autorin:
Zu ihrem neuen Roman, der Enda Januar bei Nagel & Kimche erscheinen wird: Seit dem Tod ihres Vaters Anfang der 80er Jahre betreibt Pia die außerhalb gelegene Tankstelle allein: Benzin, Super, leichte Reparaturen, Kiosk mit Imbiss. Aber mittlerweile haben sich die Kunden an das zeitsparende Tanken woanders gewöhnt und kommen nicht mehr extra zu ihr. Pias beste Kundin ist auch ihre beste Freundin, Luisa, Versicherungsangestellte und Geliebte des örtlichen Baulöwen Holzer. Auch Pias Exfreund Luc taucht immer wieder auf — weil er zur Stelle sein möchte, wenn Pia das Geschäft verkaufen muss: Er glaubt, ihm stehe ein Anteil zu. Pia plant die Flucht nach vorn: den weitherum größten Autowaschsalon, ein Pflegeereignis der besonderen Art, das vollautomatische Schneiden-Waschen-Fönen des geliebten täglichen Gefährten. Dazu braucht sie Holzer als Investor; um seine Zusage kümmert sich Luisa. In Mailand wird die modernste Waschstraße bestellt. Die Einweihung wird eine furiose, erotische Feier, die das Dorf in Aufruhr versetzt.
„Ich glaube ans Leben als ein Geschenk. Aber ich glaube auch an die Phantasie als ein hohes Gut. Und ans Buch. Bücher besitzen die magische Kraft, im Kopf eines jeden Lesers eine ganz eigene Welt erstehen zu lassen. Darin liegt ihre einzigartige Sensation.“
Rezension von «Glänzende Aussichten» auf literaturblatt.ch
Titelfoto: Yvonne Böhler