Karin Prucha «was wäre hätten wir die grenzen nicht» grenzzyklus

1

der grenzen ohne

was wäre 
wenn die grenzen nicht 
gewesen
dein butterblumenkleid 
verschmölze
unter meinen füßen
nicht
zu dunklen flecken
dein warmes lachen
wäre 
keine einbildung
und
flöße
ohne halt ins 
meer
wär 
deine stimme noch
so frisch und ohne zaudern
hätt 
ich sie noch
gefangen
in meinem
land
in meinem 
eigenen
das vorher 
doch ein ganzes war
ein einziges
ein großes
ein immerdar
und immer fort
verfließt
dein lachen
deine worte
kenn ich 
als
ob sie gestern
noch gesprochen
dein klang so zauberhaft
in meinem ohr
sind meine worte
auch in deinen
so klanghaft
wie die 
schätze
aus 
den sagen
wölben sich
die neuen 
grenzen
ein 
in deine worte
und machen 
meine
kalt
und bin 
sie los
wohl 
ob
der grenze
gehe ich
ins neunte jahr
und höre 
deine stimme
im flüstern
aller meere
im salzigen
und süßen
wird sie 
nimmer ganz
und ich
bin 
ohne
deine worte
nicht 
mehr 
ich

«lavant v morju» Foto © Karin Prucha

 

2

was wäre hätten wir die grenzen nicht

ich läg nicht brach
in deinem mutterschoß
verschlöss nicht meine augen
hätt nicht diese angst
zu leben
auf die welt
zu kommen
in der das andere
das fremde 
ist
so grausam
abgelehnt
so voller 
wut
so voller 
hass
so voll
von anderssein
das 
ich
nicht
kenn
den hass
noch 
nicht 
bin 
ich 
schon 
fort
am anderen ufer
teste ich 
mein 
leben
im 
anderen
im
neuen
und
wünschte 
meine
fremdheit
nicht
ich möchte weg hier
dein verdammen
ist mir heilig
du
bist
mein letzter grenzpfahl

«in tiefen landen» © Karin Prucha

 

3

hätten wir die grenze nicht

ich wäre anders
hier
geboren
mein kopf
wär
frei und ohne balken
kein fremdes
machte angst
die 
furcht
vor eignem
wäre 
weg
nicht hier
im heute
sind 
die leute
voll 
von abwehr
und der grenze
im kopf
im 
eignen
ist ohne denken
ohne sehnsucht
das
ohne
ander
und das eine
such ich
immer
noch
im zweifeln
in der angst
und hass
und
lass nicht 
zu
dass
andere
das eine
kriegen 
von dem sie träumten
dass es
doch
das ihre
ist

«zeiten.gehen» © Karin Prucha

 

4

hätt deine worte nicht

ich würd sie finden
im graben umgedreht
tief eingepfercht
in dunkle erde
hätt keine ruh
ausgraben würd ich sie
und nehmen
was mir zusteht
du
wärst nicht hier
an meiner seite
ich fänd dich nicht
an diesem ort
dein heiliges
wär schon gegangen
mich hättest du nicht
mitgenommen
an deinen 
anderen
ort
wär zuchthaus mir
und auch verwesung
an einem andern
heilgen ort
die schande fühlbar
für das
was war
und doch im eignen
wohnt

© Karin Pruche

 

5

ich grabe aus

was nicht zu finden
im dunklen tann
im wald beim ort
dort hört ich
deine schreie
du schliefst für stunden
nicht zuhaus
hast deine sachen
ruhig genommen
dein feld
war ausgegrenzt
vom jäger
er hatte
nicht an dich
gedacht

du folgtest
einer fährte
weiß
im schnee
so weiß
im dunklen
war das blut
viel heller
als im morgenschein

du hörtest 
deine stimme
rufen
im morgengrauen
voll angst
die jäger
sahen deine spuren
und 
hielten
eingeweide
andacht
an deinem grab
dem ausgegrabenen

© Karin Prucha

 

6

dein atem ist jetzt

zum schluss
war deine spur
im weißen
aufgelöst
das
was du umgegraben
ruht
jetzt
im schweigen

in ruhe
unheilvoller stille
verschwindet diese zeit
fehlt der erinnerung 
das gedächtnis
der grausamen erlebnisse

und doch 
fühl ich dich heute noch
die zeit ist hier

im wasser fließt
dein atem immer noch
an einem fleck
geschmolzen 
mit offnen wunden
zweigeteilt
bereit 
in würde
und gerechtigeit
zu tauen

die wichtigkeit des fühlens
der umarmung
der klang der beiden sprachen 
eins

dein atem jetzt

(veröffentlicht Karin Pruchas Buch «Anderland I druga dežela»),

(Auf literaturblatt.ch finden Sie aktuell einen Auszug aus Karin Pruchas entstehenden Roman «Das Salzige an den Rändern»)

Karin Prucha «Anderland druga dežela», der wolf verlag, 2021, 216 Seiten, Klappbroschur, ISBN 978-3-903354-07-4

Karin Prucha, geboren 1964 in Wien, mit rumänischen, slowenischen und tschechischen Wurzeln, aufgewachsen in Kärnten/Koroška und Wien. Schreibt seit der Kindheit Lyrik und Prosa. Studien der Germanistik, Philosphie, Kultur- und Kommunikationswissenschaften. Coaching-, schauspielerische und Flamencotanz-Ausbildungen. Lebt in Klagenfurt/Celovec. Schriftstellerin, Dramaturgin und Regieassistentin am Theater. 2021 erscheint das jüngste Buch «Anderland I druga dežela» mit literarischen Wasser-Inszenierungen. 2023 das literarisch-musikalisches «Duett asche und haut» als neue performative Form und Zusammenarbeit mit der Musikerin Lena Kolter.

Derzeit Arbeit am Roman «Das Salzige an den Rändern», Lyrikprojekt «Medea», Stück «Anderland I druga dežela» für Poesie, Tanz und Musik.

Webseite der Autorin

Beitragsbild © Karin Prucha