Barbara Marie Hofmann «Gedichte»

es winkt mir es zerstreut sich
es ist ein fremdes [ein weißes ein lichtes]
das sich von oben her in meine augen schiebt wimpern teilt
weiche wimpern zärtliche wimpern astig verästelnd
schiebt es sich teilt es schaut es mich an schau ich es an
hörige anschauung mit fremdaugen blauaugen astaugen
gehört mir sein blick
auch wenn es fremd ist gehört mir sein blick
sein ungetüm von blick
ein lichtes ungetüm das mir winkt und sich duckt
und springt nah und liegt
schon am hals am kinn
reicht mir bis zu den augen den wimpern
weichen wimpen zärtlichen wimpern
fremdlich schaut es zurück es winkt und blickt
zerstreut sich

 

 

Stelle neben jeden Stuhl einen zweiten,
neben jeden Becher einen dazu,
habe zwei gläserne Karaffen im Haus,
eine für Wasser, eine für Tränen,
giesse Sand in eine zweifache tönerne Schale.
Betrachte den Mond zweifach (zwei Monde) durch ein Fenster,
lege dich in dein Bett mit zwei Laken, zwei Kissen,
lasse neben dir eine Kuhle, schlafe, träume zwei Träume.
Wache.
Am nächsten Tag, gehe aus dem Haus,
trage zwei Mäntel, einen am Körper, einen am Arm,
kaufe zwei Hüte, zwei Zeitschriften,
setze dich in ein Café an der Ecke einer Straße,
lege Hüte und Zeitschriften (alles) ab,
lies die Nachrichten des Tages.

Warte.

Stehe auf und lasse den Hut zurück, die Zeitschrift,
hänge einen Mantel an die Bushaltestelle,
gehe die Straße (alleine) entlang zurück in dein Haus,
trink ein Glas mit Wasser aus einer Karaffe.
Betrachte dein Bett, ein Kissen, ein Laken, des Nachts: den Mond.
Füge die zweifache tönerne Schale zu einer ganzen zusammen.
Giesse Sand hinein.

Warte.

 

 

Seit du fortgegangen bist
fehlt in meinem Zimmer der Platz für Mondlicht.
ist es windstill ist es vor der Tür.
scheint die Luft weniger nahrhaft.
singen keine Vögel mehr.
schweigen die Kälber.

Seit du fortgegangen bist
habe ich in Ermangelung an Wärme angefangen
Bäume zu züchten, aus einem Birkenzweig in einem Topf.
kann ich keine Fenster mehr schließen, keine Türen.
hab ich dich erkannt in der Leere einer Ecke,
in meiner Achselhöhle
und hinter dem Vorhang, der sich bewegte.

Seit du fortgegangen bist
hat sich das Dunkel zu mir gelegt.
trägt jede Nacht dreizehn Stunden.
betrachte ich den Himmel mit aller Aufmerksamkeit.
lebe ich in erkalteten Tagen.
habe ich die Hitze vergessen, die Sonne, das Meer.

Seit du fortgegangen bist
ist alles leise.
zerbrach ich keine Schale mehr, keinen Krug.

Sauber ist das Haus.
Die Laken still und glatt.
Keine Krume Brot
unter dem hölzernen Küchentisch.

Seit du fortgegangen bist
wartet alles auf Rückkehr.

 

 

gibt es
in deinem herzen
ein regal
in das du
dinge stellen kannst
wie es dir gefällt
von unten
nach oben
und nebeneinander
und du kannst sogar
eine lücke lassen
für etwas
das fehlt

 

ich trage meine träume mit mir in einer tasche meines
mantels ich trage diesen mantel immer ich lege ihn nicht
ab auch nicht in geschlossenen räumen ich behalte
meine träume bei mir wohin ich auch gehe

 

was bedeutet glück?
bitte sag es mir langsam.
ich möchte mir

notizen machen.

 

Barbara Marie Hofmann (*1988) ist Autorin und Künstlerin. Sie schreibt Lyrik und szenische Texte. Ihr Schreiben ist geprägt von Sprachspiel, Bildhaftigkeit und Eindringlichkeit. In der Umsetzung arbeitet sie oftmals mit mehrsprachigen Ansätzen und Kooperationen, die interdisziplinär (Videobild, Animation, Sound, Grafik, Tanz) umgesetzt werden. Sie schrieb und inszenierte mehrere szenische Lesungen und veröffentlichte ihre Lyrik in Anthologien und Magazinen. Nach Stationen in Paris, München und Konstanz lebt sie derzeit in Berlin.

Porträt der Autorin

Webseite der Autorin

Ruth Loosli „Sonntag mit Klee und Sanne“, Gedichte

Allerheiligen

Falls die Toten
toter sind als
angenommen

schlagen die
Krähen lauter mit
ihren Flügeln

und krächzen
heiserer als
erlaubt ist.

 

Ein Mittwoch

Hier stand ein Zug
Und hier ein Haus

Hier wühlen ganz gewöhnliche
Gedanken.

Und da sticht die Forschung
in die Nervenstränge.

Hier stehen Bauarbeiter
mit ihren Helmen

Und begraben ihre eigene
Mahlzeit.

 

Beim Aufstehen im Restaurant

Nachschauen ob Zähne im Mund
Mantel auf Leib
Herz am rechten Fleck.

11.12.2017

 

Das Glück

ist ein gefräßiges Tier.
Es schlägt seine Krallen in meinen
Kopf und vergräbt sich lustvoll in den
Synapsen.
Dann liege ich lange wach und warte auf
den Morgen.

 

Sonntag mit Klee und Sanne

Ein ‚und‘ im Hund
damit er bellt
gefällt.

 

Sonntag mit Klee II

Es hat sich gelohnt
den Mond im Kalb
zu halbieren

und ihn um die Leber
zu drapieren.

 

Man könnte sich

man könnte sich
und den Hunger meiden
und auch das Wild
das sich so nah an die Häuser
traut

so nah an den Häusern
die Stimmen eines Hungers
man könnte sich
meinen mit dem Wild
im Bauch
das sich
so heftig
staut.

 

Ruth Loosli, geboren 1959 in Aarberg (Seeland), wo sie aufgewachsen ist. Sie hat drei erwachsene Kinder und ist ausgebildete Primarlehrerin. Seit einigen Jahren lebt und arbeitet sie in Winterthur. Sie veröffentlicht in Anthologien und Literaturzeitschriften. Ein erster Gedichtband «Aber die Häuser stehen noch» erschien 2009. Es folgte im Wolfbach Verlag (DIE REIHE, Band 5) 2011 «Wila, Geschichten»; dieser Band wurde mittlerweile auf Französisch übersetzt. Aktuell ist in derselben Reihe im Frühling 2016 der Lyrikband «Berge falten» erschienen.

Titelfoto: Anne Bürgisser