gürteltier
I
manchmal kehren die toten zurück. sie rufen:
wir waren nicht tot, nur verschollen,
und plötzlich klumpt der zucker in den raffine-
rien, rutscht in rüben, rutscht in bollen
unter die äcker, aus der holzpiroge
wird wieder wald, der grabstein mit tiara
aus schnee gleitet zurück in sein gebirge
wie ein buch ins regal. zum beispiel das gürteltier.
II
schöpfungslaune, leder-staub-coquille,
bei nieselregen mit dem glanz von seifen-
blasen, hängt als stille discokugel
im morgendlichen tanzsaal der savanne,
wenn eine erste fokker oder cessna
den himmel auftrennt – oder kauert
gleich neben der entfernteren cousine
von dornbusch, kaktus oder taumelkraut;
wie unverhofft ins rampenlicht geschoben,
fast tapsig, aber springt durch alle ringe
seiner selbst; saturngegürtet, schuppen-
akkordeon, goldbraun oder orange;
gepanzert wie ein pferd beim lanzenritt
oder der ritter selber, der als staugut
von einem kran emporgehoben werden muß
und in der schwebe hängt,
für einen augenblick
nicht wissend, ob er abstürzt oder steigt.
III
getilgt von wein
oder kurz davor,
im park vom hotel
ambassador
allein mit der liege,
der nacht von natal,
den fledermäusen
samt ultraschall,
sehr tief aus dem funkeln
im rücken, der bar,
ein schrei und ein letztes
taumelndes paar,
ein fetzen von samba,
zersplitterndes glas,
und einen moment lang
im pampasgras
als flüchtige geste,
als bitte zum tanz,
kaum da, dann verschwunden,
dein zierlicher schwanz.
Jan Wagner, geboren 1971 in Hamburg, lebt seit 1995 in Berlin. Er ist Lyriker, Übersetzer englischsprachiger Lyrik (unter anderem von Charles Simic, James Tate, Simon Armitage, Matthew Sweeney, Jo Shapcott und Robin Robertson) sowie Essayist und war bis 2003 Mitherausgeber der internationalen Literaturschachtel „Die Aussenseite des Elementes“. Für seine Gedichte, die für Auswahlbände, Zeitschriften und Anthologien in vierzig Sprachen übersetzt wurden, erhielt er unter anderem den Preis der Leipziger Buchmesse (2015) und den Georg-Büchner-Preis (2017). Jan Wagner ist Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz, der Freien Akademie der Künste in Hamburg.
Beitragsbild © Nadine Kunath