Der Ofenpass ist beliebt bei Jungs mit schweren Maschinen. Na ja, nicht nur der Ofenpass, der ist nur einer von vierzig Passstrassen im Umkreis von hundertfünfzig Kilometern, und sommers jagen die Jungs (Was heisst Jungs, das Durchschnittsalter liegt bei 70.) dort gern Rekorde. Deshalb wollte Hein, als er vor einigen Jahren auf der Höhe des Ofenpasses kurz austreten musste, dafür auch nicht extra ins Restaurant, sondern querte, nachdem er die Maschine geparkt hatte, nur eben die Strasse, um sich ins Gebüsch zu schlagen. Dort treffen allerdings gleich so einige Wanderwege zusammen, entsprechend gross war das Geläuf. Während Heins Not immer grösser wurde, folgte er dem dünnsten Weglein und hoffte, recht bald zu einem ungestörten Plätzchen zu kommen. Sein Problem war, dass inzwischen ein grosses Geschäft rief, das hiess den Overall ausziehen, und sowas macht man doch lieber im Privaten.
Nachdem er eine ganze Weile dem Schafsberg entlang gegangen war, entdeckte er in der Bergflanke eine Höhle, die er auch gleich eroberte. Mit herrlichem Blick über die Bündner Alpen gab er seinem Drang nach. Doch schlagartig wurde er dabei todmüde, schlief ein und wachte erst in tiefer Nacht wieder auf.
Es war kalt – er kauerte noch immer mit barem Hinterteil an einen Felsvorsprung gelehnt –, und aus dem Berg vernahm er ein Rumoren. Während er sich noch bemühte, die steifen Glieder zu strecken, sah er sich plötzlich von weissen, matt aus sich heraus leuchtenden Gestalten umringt, Bäckergesellen offenbar. Da blieb er doch lieber hocken und hoffte, dass sie ihn übersahen.
Das schienen sie auch zu tun.
„Was backen wir heute?“, fragte der eine die anderen.
„Schaiblettas“, schlug der zweite vor.
„Wer heizt den Ofen ein?“, fragte wieder der erste.
«Der ist schon heiss“, stellte der dritte fest, „ich muss ihn nur noch öffnen.“ Und während er das sagte, schlug er dem Hein mit einer Brotschaufel ganz unspektakulär die Schädeldecke ab. Jetzt konnte Hein sich überhaupt nicht mehr regen, selbst wenn er gewollt hätte. Und offenbar glomm in seinem Schädel wirklich eine Glut, denn seit jenem Schlag war die Höhle in mattes, rotes Licht getaucht. Er musste mit ansehen, wie die Gesellen in einer Vertiefung im Fels, einer Art Wanne, Mehl, Zucker, Eier und Nüsse mischten, dass es nur so stob, dann formten sie daraus Plätzchen und backten sie dort, wo Heins Hirn sitzen musste.
Das ging hurtig, und der Anblick hatte auch einen gewissen Zauber. Kurz vergass Hein tatsächlich, wie es um ihn stand, stellte wiederum der erste der Gesellen fest: „Genug gebacken für heute. Wer schliesst den Ofen?“
„Ich“, sagte der dritte, schlug Hein – klack! – die Schädeldecke zu, und im selben Augenblick waren sie verschwunden.
Hein wartete noch eine Weile, dann regte er sich behutsam, tastete den Schädel ab, der zu seiner grossen Erleichterung doch heil schien und sah sich um, im Licht des Feuerzeugs. Die Kekse schienen die Gesellen mitgenommen zu haben, das bedauerte er etwas. Doch dann entdeckte er, dass von seinem Geschäft ein warmer Schimmer ausging: ganz offensichtlich war es vergoldet!
Da nun sein Schädel doch tüchtig brummte, kroch Hein kurz aus der Höhle, um sich tüchtig strecken zu können. Dabei sah er, dass die Gegend dicht verscheit war, und noch immer fielen Flöcklein, fein wie Mehlstaub.
Er robbte zurück, schob sein vergoldetes Geschäft in die Tasche und suchte den Rückweg. Der Schnee leuchtete so hell in der Nacht, dass er den Weg gut fand.
Und weil ihm nicht danach war, mit seiner Suzuki 600 auf einer verschneiten Strasse zu fahren, klopfte er den Wirt der Herberge aus dem Schlaf, der schob ihn unkompliziert ins Massenlager ab. Hein war noch ganz aus dem Häuschen, und als er einen entdeckte, der offensichtlich schlaflos lag, ging er zu ihm und erzählte die aufregende Geschichte. Natürlich zeigte er auch sein vergoldetes Geschäft.
„Wenn das massiv ist, bist du ein gemachter Mann“, sagte der andere, nachdem er das Geschäft in der Hand gewogen hatte.
Daran hatte Hein noch gar nicht gedacht. Er schlug den goldenen Klumpen übers Knie, um zu sehen, was geschah. Es zerbrach, und dabei zeigte sich leider, dass es doch nur vergoldet war. Die Stücke rollten unter die Pritschen, es stank gehörig, der andere schimpfte ihn einen Idioten und schlug auf ihn ein, und darüber wieder erwachten die anderen. Zuletzt prügelten sie ihn gemeinsam aus dem Schlafsaal.
Das Ende vom Lied war, dass Hein von da an keine Pässe mehr fahren konnte, sein Hirn blieb überaus empfindlich – sei’s von den Schlägen oder den Ereignissen in der Höhle –, der kleinste Höhenunterschied war schmerzhaft. Liftfahren ging gerade noch.
„Und was lernst du daraus?“, fragte seine Freundin, als er heimkam?
„Was soll ich daraus lernen?“, fragte er zurück. „Von nun an gehe ich eben aufs Klo.“ Aber vor allem ärgerte er sich, dass er sein Geschäft nicht einem Museum übergeben hatte, denn in den kommenden Jahren las er immer wieder von Künstlern, die mit Kacke berühmt geworden waren.
Tim Krohn, geboren 1965, lebt als freier Schriftsteller in Santa Maria Val Müstair. Seine Romane «Quatemberkinder» und «Vrenelis Gärtli» machten ihn berühmt. 2015 veröffentlichte Tim Krohn bei Galiani den hochgelobten Erzählband «Nachts in Vals». Der Auftaktband des ›Menschliche Regungen‹-Projekts «Herr Brechbühl sucht eine Katze» war wochenlang in den Schweizer Bestsellerlisten. Zuletzt erschienen der zweite Band «Erich Wyss übt den freien Fall» und der dritte «Julia Sommer sät aus».