Corina Heizmann «Schaukelstuhl»

Ein Text aus dem AutorInnen-Kollektiv, das am 4. Dezember 2022 im Literaturhaus Thurgau liest.

 

Letzten Sommer wollte ich meinen Schaukelstuhl anmalen, Zitronengelb. Stundenlang bin ich durch den Heimwerkerladen gelaufen auf der Suche nach dem richtigen Farbton. Ein helles, frisches Gelb, einen Hauch vor der Grenze zum Grünstich, hell aber nicht grell. Ein sommerliches Statement Piece für meinen Balkon, auf dem ich kluge Bücher über Kapitalismus lesen und frische Ingwerlimonade trinken würde, deren Rezept ich auf dem Pinterest-Profil einer übermotivierten Agglo-Mutter gefunden hatte.
Es ist nun zum zweiten Mal wieder August und der Schaukelstuhl steht immer noch in der Ecke meines Lagerzimmers. Das dritte Zimmer meiner Wohnung, in das ich alles hineinstelle, von dem ich nicht weiss, wohin damit.
Manchmal leg ich mich dazu und schau, wie die Staubpartikel in den Sonnenstrahlen fliegen.
Er ist hellblau, begraben unter halbdreckigen Kleidern und einer Daunendecke, die ich seit deinem Auszug waschen will.
Ich sehe dich, wie du in ihm sitzt und Martin Suter liest. Der hält sich selbst für so geil, hast du kopfschüttelnd gesagt und weitergelesen. Du sahst unfassbar gut aus im Profil.
Seit du weg bist, habe ich kein einziges Buch mehr gelesen. Geschrieben habe ich auch nicht, nur hie und da ein bisschen Liebeskummer in mein Notizbuch gerotzt. Ich bin einfach liegengeblieben, habe mich eingelagert und warte darauf, bis zu zurückkommst und mich abstaubst.
Unterdessen ist die Klematis auf meinem Balkon vertrocknet, eine Pandemie ist aus- und die US-Demokratie zusammengebrochen. Die Bänder in meinem rechten Fuss sind gerissen, der Italiener um die Ecke mit dem Sprachfehler und der guten Salami-Pizza ging Konkurs und unter mir sind neue Nachbarn eingezogen. Sie kiffen noch mehr als du. Der Rauch zieht durch mein schräg gestelltes Schlafzimmerfenster in die Wohnung und kriecht bis ins Lagerzimmer. Ich atme ein und der Schaukelstuhl beginnt leicht zu wippen.

Die Abende sind mittlerweile so warm und endlos, dass die Kiffer bis elf Uhr draussen sitzen. Gegen zwölf, wenn endlich alles still ist und es nur noch nach feuchter Sommernacht riecht, setze ich mich auf den Balkon, rauche eine deiner Zigaretten und drücke sie auf meinem Oberschenkel aus.
Meine Beine sind Januar-Weiss, obwohl Hochsommer ist.
Ich hab den Moment dieses Jahr erneut verpasst, um ein erstes Mal ins Schwimmbad zu gehen. Diese kurze Zeitspanne, in der die Körper noch alle blass und unsicher sind, sich die Leute erst wieder an ihr entblösstes Fleisch gewöhnen müssen, man noch nicht so auffällt mit den Rasierpickeln in der Bikinizone und den Armen vor dem Bauch. Die Grauzone, die man jedes Jahr überwinden muss, bis man ein bisschen braun ist und sich so oft nackt und eklig gefühlt hat, dass ein gewisser Gewöhnungseffekt stattgefunden hat.
So, dass man das kühle Wasser auf der Haut endlich geniessen kann, wenn auch nur für ein paar Sekunden am Abend kurz vor Badischluss.

Der Frühsommer ist an mir vorbeigezischt wie ein Intercity an einem Provinzbahnhof. Und jetzt liegen sie alle mit Bikiniabdruck auf ihren farbigen Hamamtüchern im Gras, essen Wassermelone mit Fetakäse und radeln nach dem Schwimmen mit ihren pastellfarbenen Rädern zum Apérol-Spritz in die Riminibar. Dort reden sie dann darüber, in welchem Supermarkt es die besten vegetarischen Grillwürste gibt und ob der Mann heutzutage immer noch derjenige sein soll, der den Heiratsantrag macht.
Ich rauche in die Nacht und brenne mir für jeden Gedanken an dich ein kleines Loch ins Fleisch.
Ich würde dir gerne schreiben und dich fragen, ob du deine hässlichen Jesus-Sandalen noch trägst. Du solltest den Verkäufer verklagen, habe ich dir gesagt, als du mir das ergonomische Fussbett präsentiert hast und es hat mir direkt ein bisschen Leid getan, als ich deinen Blick gesehen habe. Sowas trägt man halt beim Wandern, hast du geantwortet und ich hab mich sofort in dich verliebt. Dein totales Desinteresse an deinem Aussehen und die damit verbundene Selbstsicherheit machte dich so abscheulich attraktiv, ich könnte immer noch im Strahl kotzen und hoffe, dass wenigstens ein paar der Mädels nicht über die Jesussandalen hinwegschauen können und du gerade alleine im Bett liegst und nach Pornos suchst mit Frauen die mir ähneln. Ich hoffe generell, dass du mindestens so einsam bist wie ich, obwohl ich mir das am Ausmass dieses bodenlosen Lochs in mir schwer vorstellen kann. Ich weiss nicht wieso, aber es kommt mir vor, als ob immer ich diejenige bin, die mehr leidet. In mir zerbricht bei jeder Trennung noch etwas Übergeordnetes, ein Krug, mit dem du gar nicht in Berührung gekommen bist aber der sich durch deine Anwesenheit Scherbe für Scherbe wieder zusammengeleimt hat. Und umso krachender wieder in sich zusammengefallen ist, nachdem du plötzlich weg warst.

Einmal, da stand ich schon an der Kasse im Heimwerkerladen, als dein Name aufblinkte. Rapsgelb, Dottergelb und Verkehrsgelb lagen im Einkaufskorb, Zitronengelb war aus. Nur eine übergewichtige Kurzhaarmutter und ihre zwei Orchideen trennten mich vom Zahlungsvorgang. Wie auf Kommando liess ich alles stehen, lief aus dem Laden und hielt dich an meine Wange.
Dann ging ich nach Hause, legte mich ins Bett und stand zwei Tage nicht mehr auf.
Unterdessen sitze ich wieder, auf dem Balkon, und google nach Gelbtönen. Ich hab eine Pintrest-Pinnwand mit zitronengelben Stühlen und eine weitere für passende Kissen erstellt. Um das Limmonadenrezept zu perfektionieren habe ich mir stundenlang Youtube-Videos mit schönen Frauen mit Beeachwaves angeschaut, die in flatternden Sommerkleidern in weissen Küchen Zitronen in Scheiben schneiden. Ich stelle mir vor, wie du im Schaukelstuhl neben der blühenden Klematis sitzt und dir eine dieser Youtube-Frauen Limonade bringt. Ich drücke die Zigarette aus.
Du lächelst sie an und siehst unfassbar gut aus im Profil.

Corina Heinzmann, 1990 in Zürich geboren, arbeitet als Journalistin und schreibt beruflich fürs Hören. Während der Arbeit steht sie am Mikrofon, privat läuft sie hunderte Kilometer mit dem Rucksack durch Europa. Sie verlässt das Haus nie ohne Notizbuch und schreibt am liebsten Kurzgeschichten. Corina Heinzmann lebt in Zürich, liebt Hunde und hasst Deadlines. Sie ist fasziniert von menschlichen Abgründen und liest bei einem neuen Buch zuerst den letzten Satz.