Laura Vogt: «Ich über – (Laura Vogt)», Plattform Gegenzauber

Ich soll nicht über das Ich schreiben, heisst es da und dort in der Literaturwelt, denn es bedeute Nabelschau. Welches Ich?, frage ich mich, und wer stellt hier die Bedingungen, für wen, wofür und warum?
Ich sitze an der Alten Donau, wie unwienerisch: lautes Froschquaken, Vögel singen; ich höre den Wind in den Bäumen, eine Kettensäge in der Ferne und Autorauschen von der grossen Strasse her, die über den Fluss führt. Dahinter schiessen hochmoderne Wolkenkratzer in die Höhe. Clean wirken sie, als würden sie aus der Erde wachsen, genau wie das Schilf direkt vor mir.
Zurück zum Ich, das mit beiden Beinen auf dem Boden steht. Zwei junge Frauen, die je einen Kinderwagen vor sich her schieben, spazieren an mir vorbei; ich habe mein Kind zu Hause in St. Gallen gelassen und in den letzten zwei Tagen so wenig gesprochen wie seit mindestens zwei Jahren nicht mehr. Ich gehe alleine der Alten Donau entlang, und am Morgen ging ich auch ganz für mich durch Wiens Strassen und Gassen, am Museumsquartier und an der Hofburg vorbei, an Touristenströmen vorüber und durch sie hindurch.
Ich bin flüssig wie Honig.
Ich rinne vor mich hin, eher dünn- als dickflüssig bei der Hitze, und ich lasse an mir kleben, was mir gefällt, um die Dinge später, wenn ich ein Gegenstück habe, zu verwerten. (Brot für den Honig. Ein menschliches Gegenüber oder einen Stift & ein Stück Papier für das Ich)
Ich zergehe mir selbst im Mund.
Ich schlucke und verdaue all die Wörter, die ich lese.
Das Ich und seine mannigfaltigen Möglichkeiten. Das Ich in seinem Nichts.
Losgelöst von meinem Leben und mitten in ihm – zurück von der Alten Donau in der Wiener Innenstadt – betrete ich das Leopold Museum. Ich betrachte die Bilder von Egon Schiele, wegen derer ich in die Stadt gekommen bin. Hunderte Selbstporträts hat Schiele vor rund hundert Jahren gemalt. Klare Linien zeigen mal einen ganzen Körper, mal nur einen Torso; dürre Beine, schlaffer Penis, lavarote Nippel, aufgerissener Mund, die Stirn in Falten, ein honiggelber Körper. Das Ich als Märtyrer, als Heiliger, als Leidender.
Schiele hat sich nicht festgelegt. Er hat Ich gesagt und Vieles und Nichts gemeint.
Ich richte mich auf. Ich habe Durst. Mein kinderloses Ich steigt die Treppe hoch ins Café Leopold und wirft einen Blick in die Getränkekarte. Als der Kellner vor meinem Tisch stehen bleibt und fragt, was er mir bringen soll, deutet mein Zeigefinger auf „All I Need“. Grüntee belebt.

Laura Vogt, geboren 1989 in der Ostschweiz, absolvierte das Schweizerische Literaturinstitut in Biel. Davor studierte sie fünf Semester Kulturwissenschaften an der Universität Luzern und hielt sich längere Zeit in Uganda, Ägypten und Griechenland auf. Sie schreibt Prosa, lyrische und journalistische Texte und ist zudem als Schriftdolmetscherin tätig. 2016 erschien ihr Debütroman «So einfach war es also zu gehen» (VGS St. Gallen). 2012 war sie Siegerin beim Schreibwettbewerb des Thuner Literaturfestival Literaare, 2014 erhielt sie einen Werkbeitrag der Ausserrhodischen Kulturstiftung und 2017 einen Werkbeitrag der Stadt St. Gallen.

Im Januar wird das Stück „Die Traumbeschauten“ in der Offenen Kirche, St. Gallen aufgeführt. Laura Vogt schrieb den Text für dieses Musiktheater.

https://inscriptum.ch/programm/

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Fee Katrin Kanzler «Mächtige Männer warten lassen»

I tried and failed to be a character in a story somebody else had written for me. – Laurie Penny

Krishna war ein kleiner, zu dünner Säugling mit schwarzem Haarflaum. Dass Krishna der Name eines Hindugottes ist, eines blütengeschmückten Flötenspielers, um den sich weiße Kühe scharen, hatte die Mutter nicht geschert. Sie wusste nicht, dass hinter dem Wort eine der zehn Inkarnationen Vishnus steckt, ein blauhäutiger Weiberheld. Sie nannte ihre Tochter Krishna, weil sie den Namen bei George Harrison aufgeschnappt hatte, seine ausgefallene Schreibweise, seinen Klang mochte. Einzig dem betreuenden Arzt fiel der Zusammenhang zwischen dem Namen und der leicht bläulichen Haut des Mädchens auf.

Vom Turm herab schlägt es fünf Uhr, ein spröder, hungriger Ton. Die Marktleute klappen ihre Buden zu, sammeln das restliche Gemüse ein. Ein paar letzte Tüten werden hastig an den Mann gebracht, bevor ein Verkaufswagen nach dem anderen davonrollt. Ein leichter Nieselregen setzt ein.
Die Künstlerin geht über den Platz, das Haar unter ihrer Kapuze verborgen. Schon von Weitem sieht sie den geschwungenen Schriftzug, die rote Eingangstür, die Lichter des Bistros. Drinnen baumeln Kronleuchter wie silberne Spinnen von der Decke. Unter einer der Glitzertaranteln sitzt der Mann mit dem Geld.
Er lümmelt mit dem Rücken zum Fenster, sie kann seine Halbglatze ausmachen, das immergleiche Grau seiner Schultern. Sie weiß, wie es abläuft, sie wird ihm gegenüber Platz nehmen, in dem engen Gang zwischen den Cafétischen, durch den wieder und wieder die Bedienung flitzt. Wenn andere Gäste die Tür öffnen, wird sie den kühlen Zug der Abendluft spüren, während der Mann mit dem Geld auf sie einredet, ihr sagt, was geht, was nicht geht und was er will. Manchmal wird der Ellenbogen der Kellnerin ihren Hinterkopf streifen, so dass sie ständig befürchtet, über ihr könnte ein Tablett voll Kaffeetassen ausgekippt werden. Schon vier solcher Treffen hat sie hinter sich, ohne dass die großen Versprechungen wahr geworden wären.
Etwas Pinkfarbenes leuchtet ihr auf dem nieselnassen Boden entgegen. Ihre Schritte verlangsamen sich. Eine liegengebliebene Nelke. Die Künstlerin macht ein Foto von der Blüte, blinzelt noch einmal zu den Silberarachniden hinüber und macht auf dem Absatz kehrt.

Über dem Sofa ein Vasarelyquadrat in Schwarz und Weiß, der Kaffeeautomat knirscht eine Portion Bohnen zu Pulver. Die junge Witwe steht barfuß vor der Maschine. Im Hintergrund schrillt ein Telefon. Eine Überwachungskamera wirft ein blindes Auge in den Garten, zeichnet Schatten auf, die niemand sieht.
Der Espresso schnurrt in eine silbern glasierte Tasse. Das Telefon verstummt und eine Raucherstimme knarzt zwei, drei Sätze auf den Anrufbeantworter. Das Spiegelbild der jungen Witwe ist mehrfach in den hohen Glasscheiben zu sehen. Sie träufelt Chiliöl in ihren Espresso, rührt. Es ist spät am Abend, eine stabförmige Designerlampe ist die einzige Lichtquelle im Raum.
Plötzlich springt einer der Bewegungsmelder draußen an, lässt die Fluter im Hof aufstrahlen. Die Frau hebt den Blick von ihrer Tasse. Hatte das Telefon so gar keine Anziehungskraft auf sie, durchfährt sie jetzt ein Anflug von Neugier. Sie eilt ins Schlafzimmer, holt die Walther aus dem Nachtkästchen und schleicht nach unten. Instinktiv weiß sie, dass jemand auf dem Grundstück ist, dass es diesmal kein Waschbär ist.
Als sie eine der Glastüren zum Garten aufgeschoben hat, hört sie aus einiger Entfernung ein Tappen und Kratzen, dann Schritte im Kies. Die Geräusche kommen von der straßenzugewandten Seite des Hauses, irgendwo beim Garagenanbau. Sie lauscht, ein hastiges Schlurfen, das Sirren eines Reißverschlusses, Klebebandratschen, ein leises Ächzen. Sie tritt ins Licht, durchquert den Garten und geht die Auffahrt hinunter. Ein Klackern, ein Zischen, die junge Witwe geht an dem Rolltor vorbei, hinter dem ihr Sportwagen steht, biegt um die Ecke. Sie sieht eine menschliche Silhouette, die von oben von der Garage hängt, Kapuze, ein Arm, der in Zickzackbewegungen Farbe an die Wand sprüht. So vertieft ist die Gestalt in ihr Werk, dass die Witwe erst ihre Pistole heben und ein halblautes Hey rufen muss.
Die Person zuckt zusammen, zieht rasch ihre Gliedmaßen auf das Dach zurück. Kurz ragt noch einmal die Kapuze über den Gebäuderand, dann knackt der Kies, ein Schlittern, ein Straucheln auf der Rückseite der Garage. Die dunkle Silhouette kämpft sich durch Eibenbüsche zurück auf die Straße, der Rhythmus von Turnschuhen hallt auf dem Asphalt, verschwindet in der Nacht. Erst jetzt sieht die Witwe sich selbst, ihren Schatten, groß und verzerrt auf den Hof projiziert. Der Hausmantel lässt sie breit und bedrohlich aussehen, sie ist ein gigantischer Umriss mit ausgestreckter Waffe.

Da Krishna an Arbeitslehre und Textilgestaltung keinen Spaß, dafür aber einen schönen Körper hatte, begann sie, für Fotografen Modell zu stehen. Mit siebzehn hatte sie genug zusammengespart, um bei der Mutter auszuziehen, wohnte in einem schmuddeligen Loch. Sie ging zu Modelcastings. Weil die Bezahlung stimmte, beteiligte sie sich auch an Pornoproduktionen. Der unterkühlte Sex langweilte sie jedoch genauso sehr wie der Unterricht in Rechnungswesen.
Beim zwölften, vierzehnten oder achtzehnten Casting klappte es dann, und in den folgenden zwei Jahren war Krishna immer wieder in den Katalogen von Billigkleidermarken zu sehen. Sie zog in einen anderen Stadtteil und arbeitete als Messehostess. Ihr Englisch war nicht das allerbeste, aber weil sie die erwarteten Umgangsformen aus dem Effeff beherrschte, stieg sie trotzdem bald zur VIP-Hostess auf. Sie lernte jede Menge reiche und wichtige Männer kennen. Genoss, wie die Schlipsträger und Scheichs um ihre Blicke buhlten, im Messerummel danach dürsteten, sich von ihr Champagner reichen zu lassen. Manchmal umgarnte sie die Kunden, zog sich anschließend mit dem Versprechen auf baldige Wiederkehr und Tramezzini zurück und ließ die Männer absichtlich eine geraume Zeit warten. Immer nur gerade so lang, dass sie keinen Ärger bekam. Lang genug jedoch, um aus einem Versteck heraus die suchenden Blicke, die gerunzelten Stirnen und die aufkeimende Verwirrung, vielleicht doch vergessen worden zu sein, beobachten zu können. Very important persons beim Schwitzen zusehen, mächtige Männer warten lassen, das war ihr heimliches Vergnügen.

Die junge Witwe wird vom Telefon geweckt. Das Morgenlicht frisst einen rötlichen Schlitz in die Samtwand vor dem Fenster. Der Geruch des Gatten driftet noch durch die Wohnung, sie atmet das Gespenst ein, wartet, bis das Klingeln aufhört, atmet erst dann wieder aus. Von draußen ist ein melodisches Wispern zu hören, Vogelstimmen, die gedämpft durch die Vorhänge dringen.
Eine halbe Stunde später zieht die junge Frau den Samt beiseite, hört den Anrufbeantworter ab. Der Finanzchef von Little Lamb Baby Foods bittet um dringenden Rückruf. Sie sucht, während die Kaffeemaschine kreischend Bohnen mahlt, die Telefonnummer von Olga Sonowska heraus. Nimmt sich vor, sie, die Assistentin ihres Mannes für über zehn Jahre, gleich morgen zum Abendessen einzuladen. Niemand weiß so gut über das Unternehmen bescheid wie Sonowska, hatte er immer gesagt. Als die Witwe ihre Finger um den Kaffeebecher legt, klingelt erneut das Telefon. Sie schließt die Augen, zählt bis zehn, hat nicht mehr dieselbe Freude daran wie früher, einen Geldsack sitzen zu lassen.

Manche von den Messekunden versuchten, Krishna auf ein Wochenende in die Alpen zu entführen, auf einen Segeltörn auf den Bodensee, zu einer Modenschau nach Milano. Die Hostess nahm nur ein Viertel der Einladungen an und war trotzdem mindestens einmal im Monat mit einem Verehrer unterwegs.
Helgo Zättervall, der Besitzer von Little Lamb Baby Foods, war besonders kreativ in der Auswahl seiner Ausflugsziele. Mit ihm ging Krishna zum Fallschirmspringen, badete in geothermischen Quellen, unter seiner Aufsicht lernte sie reiten, erwarb ihre Fahrerlaubnis und machte den Waffenschein. Der Mann hatte schütteres, rotes Haar, zusammengewachsene Zehen und aß leidenschaftlich gern Kümmelkäse. Auf einem Hausboot in einem norwegischen Fjord machte Zättervall der jungen Frau schließlich einen Heiratsantrag.
Krishna, gerade vierundzwanzig geworden, erbat sich Bedenkzeit. Sie flog zurück nach Deutschland, lag vier Nächte lang wach und grübelte. Sie kam auf keine bessere Idee. Jeder Weg, den sie sich ausmalte, führte irgendwann in die Wüste. Die Hostessenagentur zog Jahr für Jahr neues Personal an Land, junge Schönheiten aus aller Herren Länder, Krishna war sich ihrer Ersetzlichkeit bewusst. Sie hatte keinen Berufsabschluss und als Model würde sie maximal vier oder fünf weitere Jahre arbeiten können. Sich wie ihre Mutter als Kellnerin, Kindermädchen oder Kurierfahrerin über Wasser zu halten, kam für die junge Frau nicht in Frage. Früher oder später musste sie also diese Karte spielen, früher oder später musste sie einen Antrag annehmen. Ob es nun Zättervall oder einer der anderen Männer war, spielte im Grunde keine Rolle.
Nach knapp einer Woche hielt der Babynahrungsmagnat es nicht mehr aus. Er kam Krishna in ihrer kleinen Innenstadtwohnung besuchen, der Strauß aus hundert roten Rosen passte kaum durch die Tür. Zättervall warf sich vor der jungen Frau auf den Boden, wiederholte seinen Antrag und fügte hinzu, wenn sie nicht sofort zusage, würde er sich jetzt und hier aus dem fünften Stock stürzen. Sie sagte ja.

Gegen neun Uhr verlässt die Witwe das Haus, sieht sich das Graffiti, das der nächtliche Besucher hinterlassen hat, zum ersten Mal genauer an. Es ist ein Schemen, so schwarz wie der Schatten, den sie selbst in der Nacht auf den Hof warf. Eine finstere Wolke, horizontal hingestreckt auf dem Eierschalenbeige der Garagenwand.
Erst beim zweiten Hinsehen fallen der jungen Witwe die Unebenheiten auf, der große schwarze Fleck hat Kiemen. Sie tritt näher. Ein weißes Rechteck hebt sich rings um die düstere Wolke ab. Erst dann begreift sie. Eilt in die Garage, bugsiert eine Klappleiter hinaus und steigt zu dem Graffiti hoch. Das anderthalb mal zwei Meter messende Stück Pappe ist notdürftig mit Klebeband am oberen Garagenrand befestigt, der Sprayer hatte keine Zeit mehr, es abzuziehen. Sie greift nach der Schablone, die sich beim Lösen in sich zusammmenfaltet und das darunterliegende Wesen offenbart. Eine gestreifte Katze, schleichend. Erst denkt die Witwe an einen Tiger. Aber ihr fällt auf, wie hart und unorganisch die eierschalefarbenen Streifen den Katzenkörper in Segmente teilen. Als hätte jemand das Raubtier mit einem Laserstrahl in Scheiben geschnitten. Es hält den Kopf gesenkt, sein weicher, geduckter Gang wirkt niedergeschlagen. Es ist ein Panther hinter Gitterstäben.
Die Umrisse seiner Vorderpfoten und sein Kopf sind nur spärlich mit Farbe gefüllt. Auch im Leib gibt es dünn besprenkelte Stellen, unter dem Tier einige formlose Hauche von Schwarz, in denen sich Buchstaben andeuten. Die Witwe klettert von der Leiter, stößt mit der Ferse gegen eine Sprühdose, hebt sie auf, ein grelles Pink. Sie entfaltet die Schablone und entziffert den Schriftzug, der als Bildunterschrift gedacht war. Hinter tausend Stäben keine Welt, steht da. Die Phrase kommt der Frau bekannt vor, sie starrt die Worte an und fragt sich, warum gerade jetzt die Tränen über ihre Wangen rinnen, die seit dem Tod ihres Mannes nicht fließen wollten.

Kurz nach Mitternacht schickt der Mann mit dem Geld eine besorgte Nachricht an die Künstlerin. Als diese sich auch den ganzen nächsten Tag über nicht meldet, ruft er sie an. Lässt es wieder um Mitternacht klingeln, als wäre sie eine heimliche Geliebte, als hätte sie sich noch nicht weit genug hochgearbeitet, damit er wie ein normaler Geschäftspartner am Tag mit ihr telefoniert.
Sie hätte das Säuseln des Handys beim Klackern der Spraydosen fast nicht gehört. An der Mauer über ihr klebt eine Schablone, bäumt sich ein Nilpferd mit Stierhörnern, ein Behemoth mit weit aufgerissenem Maul, der einen Flamingo verschlingt. Die Künstlerin flucht und sprüht weiter. Drei Minuten später hört sie erneut das leise Wimmern des Telefons. Das Graffiti ist fertig, sie reißt die Schablone ab, kickt ihren Rucksack ein Stück zur Seite und duckt sich ins Gebüsch. Sie schaut aufs Display, nimmt das Gespräch an. Früher oder später wird sie dem Mann mit dem Geld erklären müssen, dass sie kein Interesse mehr an seiner Vermittlung hat.
»Du veräppelst mich doch? Ich habe Treffen mit den drei einflussreichsten Galeristen in der Region für dich arrangiert.«
»Und alle drei haben auf meine Bilder reagiert wie auf vergammelte Spiegeleier.«
»Gib der Sache Zeit. Arbeite an deinem Stil.«
Die Lichtkegel eines Autos wandern im Schneckentempo vorüber. Die Sprayerin rückt tiefer in die Blätter, stößt mit dem Rücken gegen einen Maschendrahtzaun.
»Ich will nicht mehr. Keine Lust, denen zu gefallen.«
»Überrasch sie doch beim nächsten Mal. Sei frech. Mach was Neues.«
»Nein. Wirklich. Ich bin raus. Keine Zeit zu diskutieren jetzt.«
Es herrscht eine kurze Stille. Das Auto ist vorbeigefahren, hat angehalten. Ein Streifenwagen. Die Künstlerin hört, wie der Fahrer den Rückwärtsgang einlegt.
»Du bist das dümmste und undankbarste Wesen, das mir je begegnet ist. Und dir habe ich Bilder abgekauft! Ja also: Schmeiß dein Talent eben weg. Ich wünschte, ich hätte dich wenigstens vorher noch gefickt. Tschüss.«
Die Autotüren springen auf, die Sprayerin erstarrt. Die Strahlen zweier Stablampen tasten das Nilpferdmonster ab und beginnen anschließend, das spärliche Gebüsch zu durchkämmen.
»Würden Sie bitte aufstehen und sich zeigen?«
Die Künstlerin erwägt, dass sie gerade die Miete für den nächsten Monat in den Wind geschlagen hat, und zieht die Flucht über den Zaun in Betracht. Sie reckt ihren Hals, verdreht die Augen nach oben, der Maschendraht ist etwa zwei Meter hoch. Bis sie sich hinübergehangelt hätte, würden die Beamten sie längst an den Hosenbeinen wieder herunterziehen. Sie bleibt hocken. Zwanzig Sekunden vergehen, ohne dass etwas geschieht.
»Kommen Sie raus, wir sehen Sie doch!«
Ein Blatt fällt lautlos durch das Geäst und streift die Wange der Sprayerin. Ein paar Bäume weiter flötet ein Nachtvogel eine fragende Melodie. Die junge Frau atmet tief ein und kriecht schließlich aus ihrem Versteck.

[…]

(Auszug aus einer Kurzgeschichte, «eine Werkstattschau», ein Einblick in etwas Werdendes)

Fee Katrin Kanzler, 1981 geboren, studierte Philosophie und Anglistik in Tübingen und Stockholm. Sie war Stipendiatin des Klagenfurter Literaturkurses, erhielt den Förderpreis für Literatur der Stadt Ulm und das Jahresstipendium für Literatur vom Land Baden-Württemberg. 
Ihr Roman »Die Schüchternheit der Pflaume« (FVA 2012) war für den »aspekte«-Literaturpreis für das beste deutschsprachige Debüt des ZDF nominiert. Im Herbst 2016 erschien ihr Roman »Sterben lernen«.

Rezension von «Sterben lernen» auf literaturblatt.ch

Webseite der Autorin

Simone Regina Adams «Usambaraveilchen, Schrankpapier»

Oma stirbt. Als Kind hielt ich sie für unsterblich. Noch einmal betrete ich ihr düsteres kleines Haus durch die Hintertür. Ich setze den Fuß auf die Steinstufe, die so abgetreten ist, dass sie müde in der Mitte durchzuhängen scheint; diese eine Stufe geht es hinauf, dann hinter der Schwelle zwei gekachelte Stufen hinab und ich stehe in der Waschküche.
Gleich neben der Tür hängen Küchenschürzen, links steht der Holztisch, ein Wachstuch darauf, vom vielen Schrubben farblos geworden; vor mir der grauweiße Spülstein, mit dunklen, abgeschlagenen Kanten, der Boiler darüber.
Dann die frühere Küche, ein Durchgangsraum mit gefliestem Boden und einem dünn gewordenen Webteppich. Der Kühlschrank brummt vor sich hin. Der Gasherd steht daneben, abgedeckt, ein kariertes Tuch ist darüber gelegt. Hier ist es kalt; seit ein paar Jahren kocht Oma ihr Essen auf den zwei Elektroplatten im angrenzenden Zimmer. Ich schaue hinein.
Über der Eckbank hängt an der Wand eines dieser Holzscheibchen mit dem aufgeklebten Erinnerungsbild eines Ortes, mit Geranien, See und knallblauem Himmel; auf dem Beistelltisch steht ein Trockenstrauß, ein Engelsfigürchen, ein Jesusbild. Auf dem Tisch ein Korb mit Orangen und welken Delicious, eine Tüte mit altem Rosinenbrot, die Brotmaschine, von Hand zu kurbeln. Dahinter der Wandschrank, den ich als Kind mit Schrankpapier auszulegen hatte, und in dem sich immer eine Dose mit Mandarinen befand; auch ohne ihn zu öffnen, sehe ich das Besteck darin mit den bunten Griffen und das blumige Porzellan.
Fast alle Schränke in diesem Haus sind in die Wand eingelassen, in die Mauern des Hauses hineingedrückt, wie der Schrank mit dem Putzzeug unter der Treppenschräge, auch die Garderobe im Flur; sie scheint in der Wand verschwinden zu wollen, mitsamt dem dunklen Mantel, den Schals, dem schwarzen Schirm und dem Pelzkragen mit dem Fuchskopf an einem Ende. Hier stand ich als Kind, wenn die Glocken zur Messe riefen; ich wartete, bis Oma das Gebetbuch aus der Schublade genommen, den Mantel angezogen und den Pelz umgehängt hatte, so, dass der Fuchs mich mit seinen gläsernen Augen anstarren konnte, wenn Oma mich an der Hand nahm und mit mir zur Kirche ging.
Und da ist die Tür zur Stube. Dort liegt Oma. Nicht mehr auf dem Sofa, auf dem sie sonst ihren Mittagsschlaf hielt, sondern in einem Krankenbett. Das Sofa war immer das Herz, das Zentrum des ganzen Hauses gewesen; das Sofa, von dem aus ich kaum den Tisch überblicken konnte als Kind, auch wenn ich auf einem der rot bestickten Kissen saß oder auf der Wolldecke aus den vielen verschiedenen bunten Flecken, von den Pfarrfrauen gestrickt und zusammengenäht; der Hauptgewinn der Verlosung beim Kirchenbasar.
Jeden Samstag, wenn ich dort in der Stube saß mit Oma und Mama, begann nach dem Essen das Putzen und Abstauben, angefangen mit der Kommode und dem holzverkleideten Radio: diesem großen Kasten mit den geheimnisvollen Wörtern in goldener Schrift: HILVERSUM, MILANO, HELSINKI; mit den vielen perlmuttweißen Knöpfen zum Drücken und den braunen zum Drehen, dem stoffbezogenen Lautsprecher, aus dem immer erst ein Knacken und Rauschen und dann eine dröhnende Stimme kam. In der oberen Klappe versteckt ist ein kleiner Plattenspieler, mit Heintje und Froschkönig; wenn der Tonarm über der schwarze Scheibe zitterte, quakte heiser und kläglich der Frosch: „Königstochterjüngste, mach mir auf! Weißt du nicht mehr, was du mir versprochen hast? Am Brunnen, als ich dir die goldene Kugel holen musste …“
Doch beim Samstagnachmittagsputz blieb der Plattenspieler versenkt, nur die Madonna in der Muschelwand und die gerahmten Fotos auf den Spitzendeckchen wurden abgestaubt; auch beim Tisch mit dem Fernseher wurde alles hochgehoben, abgewischt und zurückgestellt, die dicke Kerze im Messingständer und sogar die zwei Brillenmäppchen auf dem Papierstapel von Zeitungen, Prospekten, dem Kirchenblatt.
Dort in der Stube saß ich als Kind auf dem Teppichboden, sortierte die Gummibärchen der Farbe nach, malte die Osterhasen in meinem selbstgebastelten Kalender bunt und baute Männchen aus Weinflaschenkorken. Oder lag auf dem Sofa, wartete auf das Essen und langweilte mich, betrachtete den Christus im goldenen Rahmen über mir mit seinen leidvollen Augen und dem lieblichen Lächeln. Opa auf dem Foto daneben schaute streng auf den Tisch herab, an dem Oma vor jeder Mahlzeit betete, kommherrjesus, seiunsergast; ich faltete die Hände wie sie und murmelte dazu; dann gab es Suppe mit Rindfleisch und Mayonnaise, und zum Kaffee Marmorkuchen und Obstkuchen vom Blech.
Ich stehe im Flur, neben dem Kippschalter für das Licht im Keller; eine Holztür führt dorthin, um sie zu öffnen, muss der Eisenhaken angehoben und zur Seite gedreht werden. Ich erinnere mich an das Kellergewölbe, den Kartoffelgeruch, die Äpfel auf den Holzstellagen. Später traute ich mich allein hinunter, doch auch dann noch war ich erleichtert, wenn ich wieder oben war.
Im ersten Stock ist Omas Schlafzimmer, das große Ehebett, in dem sie seit den Sechziger Jahren, seit Opas Tod, alleine schlief, wenn ich nicht gerade neben ihr lag. Es hat Matratzen wie für die Erbsenprinzessin; Matratzen, in denen ich einsank als Kind; die dicke, abgegriffene Kordel hielt ich fest in der Hand; wenn ich daran zog, ging das Licht wieder an. Dann sah ich die weißen Styroporplatten an der Decke und den Lampenschirm, hell, mit Blüten bemalt wie ein Lampion. Der Nachttopf unterm Bett und an der Wand die ewig tickende Uhr; immer schlief ich dort, neben Oma, nie in dem Zimmer nebenan, in dem Mama groß wurde; es ist ein kleines Zimmer, mit Kommunionsbildchen an der Wand. Und dahinter gibt es noch einen kaum benutzten Raum, mit wurmstichigen dunklen Holzmöbeln; auch da ein Wandschrank, den Oma feierlich öffnete; ihre Schätze darin: eingemachte Kirschen, Birnen, Zwetschgen und Marmelade. Sie übergab mir andächtig ein Glas, das ich mit beiden Händen halten sollte, wenn ich es zur Stube hinunter trug.
Später dann half ich beim wöchentlichen Putz, ich schrubbte die Treppe mit der Bürste, wischte jede Stufe mit dem Lappen nach, und den Gehweg draußen musste ich kehren; die immer gleichen Aufgaben an jedem Samstagnachmittag; danach fühlte ich mich befreit und froh, wenn Mama mit mir nach Hause fuhr.
Aber vorher ging Oma mit mir zum Schrank in der Stube, dort lag der Geldbeutel neben der Suppenterrine; eine Münze oder einen Schein bekam ich zur Belohnung, sie bekam ein Küsschen; und dann stand sie an der hinteren Türe und winkte uns nach, mit einer kleinen verstohlenen Handbewegung, eher so, als würde man einen Popo tätscheln.
Noch immer stehe ich im Flur. Oma wird sterben, man wird sie aus dem Haus tragen, nicht weit hat sie es bis zum Friedhof hin.
Soll ich hinein gehen?
Was werde ich sehen?
Die fast blinden Augen, den schmalen Mund, das Gesicht, das so ernst und bitter aussehen konnte. Angst hatte ich manchmal vor ihr, als Kind, wenn sie mit mir schimpfte; Angst vor dieser Härte, die kurz, unerwartet hervorblitzte und mich dann erschreckte, so wie der Jesus, der
verrenkt am Mahagonikreuz hing, so wie das Bild der Madonna mit den blutenden Augen. Den zarten Kopf mit dem edlen Gesicht hatte sie zur Seite geneigt, in den Augenwinkeln glänzten dicke Tropfen, leuchtend rot wie Nagellack.
„Oma, warum hat die Madonna so rote Augen?“
„Sie hat so viel weinen müssen, Kind, bis sie keine Tränen mehr hatte. Da hat sie Tränen geweint aus Blut.“
„Aber warum?“
„Weil die Menschen so böse sind. Darüber weint sie.“
Ich fragte nichts mehr.
All ihre Gebete, Vaterunser und Mariamitdemkindelieb, immerzu; jedes Gebet eine Münze, um sich einzukaufen, um sich einen Platz zu sichern im Paradies. Aber hat sie nicht manchmal in sich hineingelacht, mich auch gelobt und Verständnis gezeigt? Oma eine Insel, Zuflucht und ein
böser, gefährlicher Drache; nachts schnarchte sie laut und ich träumte vom bösen Wolf, der mich fraß.
Ich öffne die Tür zur Stube. Ich gehe hinein.
Auf diese Leute war ich nicht gefasst. Was tun sie hier? Nachbarn, entfernte Verwandte, die ich nicht kenne, sie sitzen schweigend auf Stühlen wie vor einer Bühne, starren auf ihre Hände oder das stille Schauspiel vor ihnen; langsam nicken sie mir zu.
Und da liegt Oma. Ich erschrecke. Ihr Gesicht ist eingefallen, sie trägt kein Gebiss. Sie braucht es nicht mehr.
Die Wangenknochen sind immer noch breit und markant, doch die Haut darüber ist dünn geworden. Ihr Mund ist weit geöffnet, die Augen hat sie geschlossen. In diesem Gesicht ist der Schmerz so unverhohlen zu sehen, dadurch wirkt sie so fremd. Sie ist beinahe schön.
Ihr langes, weißes Haar ist offen und weich wie bei einem Mädchen; nur von einem Haarband aus der Stirn gehalten, fließt es seitlich über die Kissen. Ein goldenes Kettchen trägt sie um den Hals. Sie hat hohes Fieber, ihre Brust hebt und senkt sich angestrengt. Ich halte ihre Hand, die trockenen Finger biegen sich nach innen. Sie ist nur noch Atem, Wärme und Körper; krank riecht sie, intensiv.
Nach und nach sind alle gegangen. Ich habe Angst davor, dass Oma stirbt, während ich ihre Hand festhalte; Angst davor, mit ihr und dem Tod alleine zu sein. Ich sollte mit ihr reden, ich müsste laut mit ihr sprechen, es fällt mir schwer. Eine Kerze habe ich angezündet und das grelle Licht ausgeschaltet, nur das sage ich ihr: Oma, ich hab eine Kerze für dich angemacht. Dann bin ich wieder stumm. Ich habe nichts zu sagen. Es gibt nichts zu sagen, nichts, das wichtig wäre; außer, dass ich da bin.
Noch einmal zusammen Kaffee trinken, denke ich, noch einmal das alte Ritual. Ich gehe in die Küche, stelle den Kessel auf die Herdplatte, schütte das Kaffeepulver in den Filter, so wie früher.
Die große Standuhr in der Stube schlägt schon lange nicht mehr. Ich öffne die Tür des Gehäuses und versuche, sie aufzuziehen. Es tönt in ihr, doch die alte Melodie fehlt, es ist nur noch ein leiser, zitternder Hall. Die Messingstäbe, die ich mit den Fingern berühre, klingen nach, aber die Tonfolge kriege ich nicht hin, dabei ist sie in mein Inneres gebrannt. Diese Uhr würde ich niemals haben wollen, bloß die Töne, die aus ihr kamen, alle Viertelstunde.
Der Kessel pfeift.
Ich trinke den Kaffee, und auch von dem Kuchen esse ich, der in der Küche stand; ich staune über mich selbst. Der leichte Ekel, den ich gespürt hatte, als ich hereinkam, hatte mich erst daran gehindert, zu essen. Und jetzt tue ich es doch. Marmorkuchen, trocken und krümelig, schwer zu schlucken. Ich trinke den Kaffee dazu. Es ist ein letztes gemeinsames Kaffeetrinken, auch wenn Oma nicht mehr neben mir sitzt, erzählt und mir zuhört, sondern dort liegt und mit dem Tod kämpft.
Inzwischen ist es dunkel geworden. Ich warte auf meine Ablösung und bin erleichtert, als endlich jemand kommt. Ich rufe Oma und sage ihr, sie soll mich noch einmal anschauen.
Tatsächlich öffnet sie die Augen und blickt mich an; ich komme ihr näher, damit sie mich genauer sieht. Eine Träne läuft über ihre Wange.
Ich bin nicht mehr alleine mit ihr. Ich verabschiede mich.
Hätte sie gesprochen, wenn sie es gekonnt hätte? Was hätte sie sagen wollen? Was hätte ich sagen wollen, wo mir doch die Worte fehlten?
In der Nacht werde ich wach. Der Kaffee ist mir auf den Magen geschlagen; ich bin unruhig und denke, dass Oma vielleicht in diesem Moment stirbt. Aber sie ist erst später gestorben, am Abend darauf.
Ein Leben, fast so lang wie ein Jahrhundert, ist zuende. Sie, die sonst alles im Griff hatte, meistens kühl und gefasst war und mir so unbezwingbar erschien; nur einmal habe ich sie anders gesehen, aufgelöst, kämpfend – und schließlich ergeben.
Zehn Jahre ist das her. Manchmal träume ich, weniger von Oma als von ihrem Haus. Nachts, in meinen Träumen ist alles noch da, steht alles am alten Platz. Dabei ist das Haus längst abgerissen, verschwunden.
Bei Tage ist es eine versunkene Welt; nur einzelne Dinge und Worte bleiben sichtbar trotz der Tiefe, in der sie liegen. Sie schimmern geheimnisvoll unter Wasser, vermooste, verrostete Wracks; Begriffe wie: Spülstein, Boiler und Bettumrandung, Usambaraveilchen und Schrankpapier.

Simone Regina Adams, 1967 im Saarland geboren, lebt in Freiburg im Breisgau. Studium der Literaturwissenschaft und Psychologie, seit 1995 Psychotherapeutin mit eigener Praxis. Sie war mehrfach Stipendiatin des Förderkreises deutscher Schriftsteller in Baden-Württemberg (2006-2013), Stipendiatin des Stuttgarter Schriftstellerhauses (2014) sowie Stipendiatin in Friedrichskoog an der Nordsee (2016). Ihr Roman «Die Halbruhigen» wurde 2011 mit dem Werner-Bräunig-Preis ausgezeichnet.

Rezension von «Flugfedern» auf literaturblatt.ch

Webseite der Autorin

Wolfgang Hermann «Ein Mann, ein Bahnhof»

Im Laufe der Jahre wurde sein Sakko zur Beule. Sein Hut war ihm am Kopf angewachsen. Nur selten steckte in seinem Mundwinkel kein Krummer Hund. Seine Augen waren Knöpfe, denen keine Bewegung entging. Es lag wohl an seinem Schielen, daß sein Blick überall zugleich war. Seine Schuhe knarrten meine halbe Kindheit lang hinter meinem Rücken. Tagaus, tagein schlich er in Begleitung seines Krummen Hunds um den Bahnhof herum, redete mit niemandem, sah alles, während dem Krummen Hund darüber das Feuer ausging. Er sah mich durch den Maschendraht klettern und über die Gleise flitzen, sah mich am Bahnhofsbuffet zehn Mannerstollwerk zu einem Schilling kaufen (wenn ich den Schilling genau hatte, konnte mich die Frau am Buffet nicht betrügen), sah mich zurückflitzen über die Gleise und durch das Loch im Maschendraht verschwinden. Unser Haus lag nur einen Steinwurf vom Bahnhof entfernt, was mich zum Bahnhofspezialisten machte. Ein Bahnhofspezialist ist zugleich einer für Abreisen und Ankommen, ein Sehnsuchtsspezialist. 

Es mag an seinem Schielen gelegen haben, daß man meinen konnte, er starre einen an, egal wo man auch ging. Wenn ich über die Gleise flitzte sah er mich, wenn nicht er, dann doch sein Krummer Hund.

Es fuhren zwar nur selten Züge ein, aber die Sehnsucht schlief nie. Die Sehnsucht hauste am Bahnhof in Gestalt von einsamen Männern mit dunklen Augen, die als Schatten durch die Bahnhofshalle schlurften. Zwei oder drei von ihnen standen zusammen und sprachen eine rauhe erdige Sprache. In den im Rücken verschränkten Händen wanderten Gebetsketten.

In den Augen dieser Männer spiegelten sich einsame Ebenen unter sengender Sonne. Diese Männer standen anders beisammen. Ein Murmeln war da, ein stummes Zusammengehören, ein gemeinsam getragenes Leid. Diese Männer waren frei, sie hatten ihr fernes Anatolien hinter sich gelassen, doch die Freiheit war größer als sie. Sie gingen am Bahnhof schlurfend in Deckung. 

Wie ein Trabant umkreiste sie der Mann mit den Knopfaugen, dessen Kopf immer schräg stand wie eine Tanne nach verheerendem Sturm. Hinkte er schon immer? Er war in seinen eigenen Schrittkreis eingeschlossen, den er unaufhörlich abschritt. Er war das Glotzermännle, so nannten wir ihn, er glotzte die Welt an, doch die Welt sah nicht zurück, sie übersah ihn, der hier auf dem schäbigen Bahnhof in Deckung ging. Er schritt seinen Kreis mit der verzweifelten Geduld eines Menschen ab, dessen Zeit in sich zusammengebrochen ist. Es hieß, er warte auf seinen Sohn, der aus dem Krieg nicht nach Hause gekommen war. Der Krieg, das war die gefrorene Zeit selbst, der Krieg am Ende der Zeit.

Sein Schritt grub sich mit jedem Jahr tiefer ein, er hinkte davon immer stärker. Das Knarren seiner Schuhe kündigte ihn an, er sagte kein Wort, niemand wußte, ob er sprechen konnte. Sein Blick war eng wie eine dunkle Röhre, aus der er nie mehr herausfinden würde.  

Der Bahnhof war die Zone der Freiheit, die keiner ertrug. Von der Bahnhofstraße wehte es die Jahre heran, es trieb sie durch die gelbgekachelte Bahnhofshalle hindurch und hinaus auf die Gleise ins Nichts. Die Körper der Männer boten dem Wind keinen Widerstand, sie hatten ihr Leben irgendwo zurückgelassen, das nun ohne sie zurechtkommen mußte. Die Männer hatten ihre Gebetsketten, sie hatten ihre Erinnerung an eine sonnenverbrannte Steppe, und sie hatten die Körper der anderen, sie waren gemeinsam ein Körper der Sehnsucht und der Freiheit, die ein Stück zu groß für sie war. Irgendwann würde ein Zug sie von hier fort bringen, sie würden turmhoch beladen in ihr stilles Dorf zurückkehren, wohin sie nicht mehr gehörten, doch sie wären damit nicht allein, es würde andere geben, die ein ähnliches Schicksal hatten, die auf Arbeit in ein kaltes abweisendes Land gefahren waren, jung und ahnungslos, und deren Schläfen über der Nichtzugehörigkeit ergraut waren. Doch sie wären eine Gruppe, ihr Los hatte einen Namen, ihr Dorf hatte einen Namen, und es gab Vettern, Söhne und Frauen, die einen Namen trugen. Sie hätten die Kraft dem Bahnhof zu entkommen, denn sie kamen von irgendwo her, ihre Gedanken hatten ein Ziel, und was sie dachten bildete aus ihnen eine Gruppe. Ihre Frauen würden kommen, ihre Söhne würden ihre Rücken beim Gleisbau krümmen, und die Kraft ihrer Söhne würde sie mit Stolz erfüllen. Sie würden andere Männer treffen und Fotos tauschen, und mit Hilfe der Fotos würde ein Eheversprechen gegeben, junge Frauen würden kommen aus dem Dorf in der sonnenverbrannten Ebene. Die Kinder der Frauen auf den Fotos würden mit gelgestärktem Haar am Bahnhof Zigaretten kaufen, doch sie würden den Bahnhof nicht verstehen wie ihn ihre Väter verstanden. Sie würden den Gesang der Gleise nicht hören, denn sie hätten keine Zeit für die Leere und den Wind des Nichts, der über die Gleise weht.

Der hinkende Mann mit den Knopfaugen wurde schräg wie eine einsame verwitterte Tanne. Generationen von Fahrschülern stürmten johlend an ihm vorbei zu den Zügen. Wenn sie fort waren, wehte er noch, der Wind des Nichts. Auch die Unterführung konnte den Wind nicht vertreiben. Es wurde viel gebaut um den Bahnhof. Das alte Wirtshaus gegenüber, das kein Einheimischer mehr betrat, seit es den Männern mit den traurigen Augen gehörte, wich einer Wohnanlage. Die Bushaltestelle wurde zu einem Kompetenzzentrum für intelligente Verkehrsmittel. Man bemühte sich redlich, aus der Bahnhofstraße den Wind des Nichts zu vertreiben, umsonst. Der Wind der Leere weht zwischen den neuen Menschen hindurch, die dort gehen und nicht wissen, warum ihr Schuh nicht recht Boden findet. Selbst die Altdeutschen Stuben durften endlich verschwinden. Man versuchte mit intelligenter Architektur das Beste gegen den Wind der Leere. Aber der Wind kommt aus dem Innern der Jahre, er weht auch ohne daß ihn einer versteht.

Irgendwann haben die knarrenden Schuhe das Glotzermännle nicht mehr getragen. Irgendwann hat auch das Holz dieser Tanne nicht mehr gehalten. Keiner raucht am Bahnhof einen Krummen Hund. Keiner sieht alles und hält es zusammen, indem er es sieht. Es findet sich keiner mehr für diese Arbeit, von der keiner begreifen würde, daß es sie gibt. Man hat den Bahnhof umgebaut. Es gibt ein Servicecenter. Es gibt Bildschirme, die von ankommenden und abfahrenden Zügen berichten. Man hat die Bahnhofshalle gründlich gesäubert. Es ist kein Platz mehr für die Kollegen von der alkoholischen Flasche, die früher allen Platz für sich hatten. Sie haben es mit ihrem Gestank erledigt, ganz einfach. Wer mehr stinkt, der hat seinen Platz. Über dem modernen Polyester ist sogar den Flaschenmännern die Lust zu stinken vergangen. Von denen hat sich auch das Glotzermännle fern gehalten. Die bildeten eine eigene grausame Welt, unberührt von den anderen. Die Männer mit den Gebetsketten hatten eine traurige Würde. Sie tranken nie. Sie murmelten. Ihre Augen sprachen. Und sie hatten eine Heimat, wenn es auch nur eine verbrannte Sonne war. Die Flaschenmänner hatten nichts als gemeinsames Geschrei aus violettgesoffenen Gesichtern. Und sie zelebrierten ihren Gestank als ihr höchstes Gut. Ihr Gestank war ihre Waffe.

Der hinkende Mann ohne Sprache hatte seinen eigenen Kreis, der sich durch die Jahre drehte. Dieser Kreis hatte keinen Grund und kein Gedächtnis. Er hatte vergessen, weshalb er sich drehte. Er hatte keinen Anteil an der Freiheit der Gleise, sein Leben war klein, es bestand aus Schritten, deren Sinn irgendwo da draußen in der Welt verloren gegangen war.

Wolfgang Hermann, geboren 1961 in Bregenz, studierte Philosophie und Germanistik in Wien. Lebte längere Zeit in Berlin, Paris und in der Provence sowie von 1996 bis 1998 als Universitätslektor in Tokyo. Zahlreiche Preise, u. a. Anton-Wildgans-Preis 2006, Förderpreis zum Österreichischen Staatspreis 2007; zahlreiche Buchveröffentlichungen, unter anderem „Abschied ohne Ende“ (2012), „Die Kunst des unterirdischen Fliegens“ (2015) und „Herr Faustini bleibt zu Hause“ (2016). Bei Limbus: „Paris Berlin New York“ (erstmals erschienen 1992, Neuauflage 2008, als Limbus Preziose 2015), „Konstruktion einer Stadt“ (2009) und „Die letzten Gesänge“ (2015).

Rezension zum Gedichtband «Schatten auf dem Weg durch den Bernsteinwald» auf literaturblatt.ch

Webseite des Autors

Sylvia Steiner «Wenn Buchstaben zusammenstehn», Gedichte

die strickarbeit
abgebrochen
mitten in der
angefangenen nadel

der kleine vogel
auf dem asphalt
flaches dürres blatt
mit zwei stielen

wäre der tod doch
eine mächtige glucke
die unter ihre fittiche
nimmt was
der bergung bedarf

 

märz

auch wenn die schafe
den schnee wegscharren
und überall farbe
austreibt
wäre die welt ohne dich
nur ein schirmbild

 

schutz

rot das blut des märtyrers
in der glasampulle
es verspricht den menschen
schutz
vor der natur

rot die letzten korallen
im meer
wer verspricht ihnen
schutz
vor den menschen

 

«schutz», unveröffentlicht, erscheint nächsten Frühling in meinem neuen Lyrikband beim Wolfbach-Verlag, Zürich
die strickarbeit,  aus Band «eine andere geografie»
märz, aus Band «wenn buchstaben zusammenstehn»

Sylvia Steiner, geboren 1937 in Basel, lebt in Winterthur. Sie veröffentlichte die Lyrikbände wenn buchstaben zusammenstehn (2003) und eine andere geografie (2010), ihre Gedichte erscheinen in Literaturzeitschriften und Anthologien.

Rebecca C. Schnyder «Gewitter nach dahin»

Man fühlt sich nicht unbedingt fremd, da wo man gerade ist und doch denkt man für sich, dass man sich auch nicht unbedingt wie zu Hause fühlt, da wo man gerade ist. In diese Gedanken dann mischen sich Bilder, Bilder von früher und damals, Bilder vor dem inneren Augen, dem Innenauge; leicht verzerrt sieht man also vor dem Innenauge Bilder und denkt sich, ob das, was auf diesen Bilder ist wohl dorthin gehört, wo man sich zu Hause fühlt. Diese Bilder sind grün und braun und man denkt sich, das also sind sie, die Farben von damals, die einen nicht verlassen haben, und die noch immer gespeichert sind, da drinnen, tief drinnen in einem selber. Und man sieht auf diesen Bildern Umrisse von Hügeln und Gestalten, erahnt die Formen und denkt sich, das also sind sie, die Formen von damals – auch sie haben einen nicht verlassen.
Und genau in diesem Moment, in dem man sich dies alles fragt und dies alles für sich denkt, da zuckt der Himmel, genau in diesem Moment türmen sich Wolken auf, als wollen sie ein Turm bauen da oben im zuckenden Himmel. Und man erschrickt sich ein wenig, weil es so laut ist und so plötzlich, so plötzlich und laut eben, dass man sich erschrecken muss, gar nicht anders kann als sich zu erschrecken. Doch es ist kein böses Donnern und Grollen, das man hört und ab dem man sich erschreckt hat, schon gar kein unheimliches geschweige denn ein bedrohliches, es ist lediglich ein Donnern und Grollen, das sich seinen Weg gebahnt hat bis zu einem, bis dahin, wo man gerade sitzt oder liegt oder steht. Und es ermahnt einen, es gebe noch diesen Ort, diesen Ort gebe es doch, der einen jetzt rufe mit Wolkentürmen und zuckendem Himmel; es ist der Ruf nach dahin, dem Ort, wo man früher war und dachte, das ist es, hier dieser Ort, hier will man sein und bleiben, hier zu diesem Ort gehört man.
Und trotzdem man das wusste ging man weg, irgendwann dann eben doch weg, weil es könnte ja doch noch andere Orte geben und vielleicht gibt es woanders einen Ort, zu dem man sogar noch mehr gehört. Aber man zögert keine Sekunde damit, ihm zu folgen, diesem Ruf, der einen plötzlich ereilt und man braucht nicht zu fragen, wo er ist, dieser Ort, weil ehe man sich versieht, ist es lauter zu hören; das Donnern und das Grollen über dem Kopf und man sieht einen zuckenden Lichtstrahl quer über den Himmel, der wie zufällig die Richtung anzeigt. Und man muss nicht rennen, nicht hasten, gar darob stolpern, nur folgen diesem Ruf der ruft: Hier, komm, hier, hier ist dein Ort.
Und anstatt dass man im Gewitter den Kopf einzieht, streckt man ihn hoch, hoch in den Himmel und zwar so hoch, dass man ihn plötzlich in den Wolken hat und darüber und runter schaut auf die eigenen Füsse, die weit unter einem über grüne Hügel dem Ruf folgen. Man denkt nicht, muss nicht nachdenken, denn es läuft automatisch, die Füsse und alles was dazu gehört laufen ganz automatisch.
Unten sieht man bald Kühe, klein und braun, so braun wie die Häuser, die ebenfalls klein im Blickfeld von hoch oben aus dem Himmel stehen und zwar nicht angeschmiegt an die Hügel sondern thronend auf deren Kuppen. Sie sagen Hallo hier bin ich und auch wenn ich alt bin und klein und in deinen Augen nichts Besonderes, ich stehe hier, werde stehen bleiben, thronend auf der Kuppe der Hügel. Und mit dem Kopf oben in den Wolken sorgt man sich um diese kleinen Häuser auf ihren Kuppen mit ihrem altehrwürdigen Braun, das nur zum Schein unscheinbar ist, weil dahinter sich ja Geschichte verbirgt, nicht nur Geschichte sondern auch Geschichten, von Menschen, die einst gewohnt haben in diesen alten und kleinen Häusern; Geschichten von Menschen, die darin gewohnt haben und gelebt, die darin gelacht haben und manche wohl auch geweint. Und so sorgt man sich weil man den Kopf in den Wolken hat mitten im Donner und Gewitter und deshalb weiss um die Blitze, die sich noch immer wie zuckende Lichtstrahle, manche wie Lichtgestalten gar, quer durch den Himmel ziehen und nicht nur das, sondern sich zuweilen auch frech dem Boden nähern, der Erde, ebendieser auf welcher die braunen Häuser auf den Hügeln thronen.
Und dann, auf einmal hört man da oben mit den Ohren voll Wolken und Nass und Regen ein paar Töne, Klänge viel mehr und denkt sich ob das wohl die gleichen sind wie damals, früher, als man noch viele solcher Klänge hörte in dieser Gegend; und dass man irgendwann keine solche Klänge mehr gehört hat, hat nicht daran gelegen, dass es keine mehr gab, hier in dieser Gegend, sondern dass man selber weg war, also nicht mehr in der Gegend, ortsfremd und ortsfern geworden war, und solche Klänge nur mehr im leichten Schlaf gehört hatte, sozusagen im Traum obwohl die Tiefschlafphase nicht erreicht war. Denn so fein sind die Klänge, dass sie da nicht durchkommen, durchdringen, nicht so weit hinein reichen wie in die Tiefschlafphase in der normalerweise die Träume einen ereilen. Und so fragt man sich, ob man wieder träume, einen dieser Leichtschlaf-träume, das fragt man sich wenn man sie plötzlich wieder hört, diese Klänge. Bis man sie aber hört, immer deutlicher, mehr und lauter und weiss, dass kann kein Leichtschlaf-traum sein; nein sie sind da in aller Wirklichkeit, sie schwingen und klingen und finden das Ohr auch im Regen und durch die Wolken, Klänge, die sich gegenseitig suchen und finden, sich übereinanderlegen und einander folgen, Klänge aus Mündern, die sich im Kreis formieren.
Und so will man sich bücken, den Kopf aus den Wolken ziehen, gestrengter hinhören, mehr erhaschen von diesen Klängen, die drinnen im Innenohr, im Drinnenohr gespeichert waren trotz Ortsfernheit; trotz dessen dass man das Weite gesucht hatte, wortwörtlich die Weite, die Ebenen, die Durchatmungslandschaften in denen keine Erhebung den Blick aufhält. So lange hatte man dies Weite gesucht bis es gefunden war um dann doch zu denken: Ach, wie wäre es schön es gäbe eine Erhebung, ein Hügel oder Berg, die den Blick aufhalten würde.
Und während dem gestrengten Hören, dem Erhaschen dieser Klänge, Klänge, die einen Erinnerungsschleier lichten, lichten sich auch die Wolken, der Dunst vom Regen und man erhascht nicht nur die Klänge sondern auch den Blick auf einen Berg. Ein Berg, den man doch kennt, so denkt man für sich, einer wie es ihn nur einmal gibt und wie man ihn unter allen Bergen wiederfinden würde, ganz gleich wo und unter welchen Bergen. Und während man ihn betrachtet diesen Berg durchfährt es einen; es durchfährt einen mit der Gewissheit ob der eigenen Naivität und man lacht leise in sich hinein, über sich selber lacht man leise in sich hinein, dass man so naiv war und woanders gesucht hatte.
Und während man lacht, leise in sich hinein und über sich selber, ja während man also so lacht und gleichzeitig läuft, ganz automatisch läuft, währenddessen schickt man seinen Blick an den Berg und denkt, gut, dass es ihn gibt. Diesen Berg, um den man so froh ist, glücklich auch, ihn zu sehen, wieder zu erblicken, und zwar so sehr, dass man ihn gern aufgreifen möchte, einpacken, einstecken und zwar in die Hosentasche, um sich an ihm zu erfreuen ganz heimlich, noch mehr aber um ihn zu jedem Zeitpunkt aus der Tasche nehmen zu können, vor sich aufzustellen und einen Blick darauf zu werfen, auf diesen Berg, der Erinnerungsschleier lichtet. Dann aber mahnt einen das Donnern und Grollen – dieser Ruf – daran, nirgendwo hin zu gehen, wo man ihn bräuchte, diesen Berg in der Hosentasche, weil man doch da ist, wo er steht, im Original, gross und verankert; dass man da hingehen soll, und ebenso da bleiben soll, wo es nicht nötig ist, den Berg aus der Hosentasche zu nehmen, weil er ja vor einem steht, original, gross und verankert.
Und dann, ganz langsam, schleichend sogar verziehen sich die Wolken und die Türme und man realisiert, dass auch das Donnern und Grollen ein Ende nimmt, gar schon genommen hat, dass man kein Donnern und Grollen mehr im Ohr hat und auch keinen Regen im Auge oder auf den Füssen, sogar wieder über trockene Hügel läuft. Wenn also das Donnern und Grollen aufgehört hat, denkt man sich dann, oder fragt sich vielmehr, ob also der Ruf zu Ende ist, weil man da ist, wohin es einen gerufen hat. Und man schaut umher und sieht so viel Grün in all seinen Schattierungen, ein Grün, das sich hervortut unter den Wolken, die letzten Wolken sogar vertreibt und weil es sich so vertraut anfühlt, dieses Grün zu sehen und mehr noch, es unter den Füssen zu haben, kommt man nicht umhin zu lächeln. Denn wenn es also so ist, dass der Ruf zu Ende ist, dann bedeutet das, dass man wieder da ist; an dem Ort, der zu einem gehört und an dem Ort, zu dem man selber auch gehört.
Dann lächelt man also und sucht das passende Wort für diesen Ort und freut sich über den Reim, aber sucht dann weiter und man lächelt noch mehr, strahlt sogar, lacht auch laut vor Freude und etwas Schalk, weil man es gefunden hat, das Wort. Und man lacht weiter, ganz laut und sogar immer lauter und ist froh, dass man ihn wieder gefunden hat, diesen Ort, wieder hierher gefunden hat, nicht nur das sondern auch ein Wort gefunden hat für ihn, diesen Ort und denkt für sich, zum Glück bin ich gefolgt, diesem Donnern und Grollen, das mich ereilt hat, zum Glück bin ich gefolgt diesem einen Ruf, diesem Ruf nach Heimat, zum Glück.

Rebecca C. Schnyder, 1986 in Zürich geboren, lebt und arbeitet als freie Autorin (Drama/Hörspiel, Prosa) in St. Gallen. Für ihre Arbeiten erhielt Rebecca C. Schnyder mehrere Auszeichnungen, unter anderem den «Preis für das Schreiben von Theaterstücken» der Schweizerischen Autorengesellschaft, den Jurypreis am Autorenfestival SALZ! am Theater Lüneburg, den Publikumspreis am Autorenwettbewerb der Theater Konstanz und St. Gallen und zuletzt den Förderpreis der St. Gallischen Kulturstiftung. 2013/2014 war Rebecca C. Schnyder Teilnehmerin am Dramenprozessor am Theater Winkelwiese in Zürich und wurde mit «Alles trennt» zum Heidelberger Stückemarkt 2015 eingeladen (verteten durch Hartmann&Stauffacher Verlag). Seit Februar 2016 ist der Debütroman «Alles ist besser in der Nacht» im Buchhandel erhältlich (Dörlemann Verlag, 2016, Zürich).

Arja Lobsiger «Das grüne Haus»

Sina hat also recht gehabt: Hier am Ende eines Forstwegs befindet sich das grüne Haus. Es steht leicht schief, als wolle es sich an einen der Bäume lehnen. Ich schätze, es ist etwa fünfzig Quadratmeter gross und hat Baujahr siebenundsechzig. So genau weiss ich das natürlich nicht. Aber ich mag es, Dinge mit Zahlen zu beschreiben. Immer wenn ich jemand kennenlerne, überlege ich als erstes, wie alt und gross diese Person ist. Ist es eine unsympathische Frau, schätze ich, wie schwer sie ist. Es hat sich schon oft später herausgestellt, dass ich richtig lag. Wind rauscht durch die Bäume. Ich fühle mich beobachtet.
Das rostige Gartentor quietscht, als ich es öffne. Unsicher schaue ich mich um. Eine Amsel raschelt im Laub. Ich frage mich: „Warum braucht es mitten im Wald ein Gartentor?“ Wahrscheinlich war es früher ein Wochenendhaus für Städter, die nicht von ihren Gewohnheiten abweichen konnten. Aber jetzt wohnt hier Jannik. Um den Garten hat er sich bisher nicht gekümmert. Es ist ein Wald im Wald. Das Haus sieht nicht bewohnt aus. Hat sich Sina vielleicht doch geirrt? Dann entdecke ich neben der Tür den blauen Aschenbecher. Er überquillt vor Kippen.
Fünfhundertdreiundsiebzig Mal habe ich in den vergangenen Jahren diesen blauen Aschenbecher, der auf unserem Balkon stand, geleert. Ich hasse Zigarettengestank, aber geküsst habe ich Jannik trotzdem. Auch wenn ich zu Beginn unserer Beziehung behauptet hatte, ich würde ihn nicht küssen, wenn er geraucht hat. Damals habe ich gedacht, mich damit interessant zu machen. Unbemerkt hat sich dann mein Bestreben, interessant für Jannik zu sein, davongeschlichen.
Ich trete näher ans Haus heran und schaue durchs Fenster neben der Tür. Ich weiss, Jannik ist nicht da. Ein Anruf in seinem Büro hat genügt. Trotzdem habe ich das Gefühl, seinen Blick auf meinem Rücken zu spüren. Durchs Fenster kann ich nicht viel erkennen, weil es im Haus dunkel ist. Aber ich sehe einige vertraute Möbel.
Ich lege die Hand auf die Türklinke, zittere leicht. Meinen schnellen Herzschlag spüre ich im ganzen Körper. Ich versuche, mich daran zu erinnern, weshalb ich hergekommen bin. Tatsächlich gibt mir das die nötige Entschlossenheit. Ich drücke die Klinke. Die Tür öffnet sich. Typisch Jannik. Trotzdem bin ich überrascht.
Im Haus ist es kühler als draussen und es riecht nach Schatten und Laub. Der Holzboden knarrt. Auf dem Tisch steht einsam eine Tasse. Etwa ein Deziliter Kaffee ist noch drin. Mir fällt auf, dass es der Rest eines Milchkaffees ist. Jannik aber trinkt seinen Kaffee schwarz. Er sagte immer: „Schwarzer Kaffee passt zu meinem Humor.“ Die Wahrheit ist, dass er eine Laktoseintoleranz hat. Was mich nicht erstaunte hatte, als er es mir erzählte. Janniks Haut ist weiss und weich wie Vollrahm. Ich finde es immer wieder faszinierend, wie der Körper das Verhalten des Menschen regiert.
Ich nehme einen Schluck aus der Tasse. Der Kaffee schmeckt sauer und ist kalt. Ich suche den Tassenrand nach Spuren von Lippenstift ab. Nichts. „Vielleicht hat Jannik für sich laktosefreie Milch gekauft?“, überlege ich weiter. Aber das kann ich mir nicht vorstellen. Jannik ist ein Alles-oder-Nichts-Typ. Das wird sich nicht geändert haben, trotz Umzug in den Wald. Auch dazu, bin ich überzeugt, hat ihn diese Lebenseinstellung getrieben. Gleich zu Beginn unserer Beziehung hat er gesagt: „Solange wir es gut zusammen haben, bleibe ich bei dir.“ Den Folgesatz hat er zwar nie ausgesprochen, aber ich weiss, dass dieser für ihn viel wichtiger gewesen ist.
Ich bemerke, dass ich mich am Griff der Kaffeetasse festklammere und meine Knöchel schon ganz weiss geworden sind. Gerade als ich die Tasse wieder an ihren Platz zurückstellen will, entdecke ich den Kaffeering auf dem Tisch. Ich stelle sie nicht mehr dorthin zurück.
Die zwei Holzstühle haben wir gemeinsam gekauft. Zwei gleiche Holzstühle stehen in unserer alten Wohnung. Über der einen Stuhllehne hängt Janniks blaue Trainingsjacke.
An der Wand steht ein altes Ledersofa, auf dem eine zusammengefaltete Militärwolldecke liegt. Unsere Sofadecke hat er nie so ordentlich zusammengefaltet. Mir ist etwas schwindlig und ich zittere. Ich versuche, mich zu beruhigen und rede mir ein, dass es wegen der Kälte ist.
Das Klingeln eines Telefons durchbricht die Stille. Erschrocken öffne ich die Augen, schaue mich um und fühle mich ertappt. Das Klingeln ist laut und schrill. Ich habe das Gefühl, es klingelt durch den ganzen Wald. Es hört nicht auf.
Rasch stehe ich auf, entdecke neben dem Eingang der Küche ein schwarzes, altes Wandtelefon mit Wählscheibe. Ich strecke meine Hand nach dem Hörer aus. Gerade noch rechzeitig besinne ich mich aber: Ich habe keine Ahnung, wer hier anruft. Und was soll ich denn sagen?
Ich lasse das Telefon ausklingeln. Was macht Jannik, wenn ein Baum auf die Freileitung fällt? Neben dem Telefon hängt eine Liste mit zwölf Nummern. Ich entdecke einige Namen aus unserem Freundeskreis, ein paar seiner Bürokollegen, seine Eltern und Valerie. Ich kenne keine Valerie und Jannik hat mir nie von ihr erzählt.
Meine Telefonnummer steht nicht auf der Liste. Ich nehme den Hörer ab, wähle meine Nummer. Das Handy klingelt in meiner Tasche und ich lege den Hörer zurück. Später werde ich die Nummer abspeichern. Ich schaue mich weiter im Wohnzimmer um. Die dunkle Holzdecke wirkt erdrückend. Die Möbel sehen aus, als stammten sie vom Trödelmarkt. Der staubige Fernseher steht auf einer niedrigen Backsteinmauer. Keine Deko, nichts, was den Raum schöner macht. Nur der grüne Kachelofen neben dem Sofa strahlt eine gewisse Eleganz aus. Auf dem Bücherregal steht die Hälfte der Bücher, die mein Regal so leer erscheinen lässt. Ich zähle zweiundvierzig Stück und studiere dabei die Bücherrücken, suche mir drei Romane aus. Sie verschwinden in meiner Tasche. Die Lücken, die sie im Regal hinterlassen, bleiben.
In der kleinen Einzeiler-Küche sehe ich nichts Neues. Auch sie stammt aus den Sechzigern. Das Erstaunlichste ist eine Teekanne auf dem Herd, die als Vase dient.
Auch hier gibt es kein Bild, kein Foto, keine Erinnerung. Ich frage mich, ob Jannik mich, uns bereits vergessen hat. Ich schaue aus dem Fenster. Kein Blick in die Ferne. Nur Eichen- und Fichtenstämme. Vermisst er nicht die Menschen?
Ich gehe weiter ins Schlafzimmer. Unser Doppelbett füllt fast den ganzen Raum aus. Nur für einen Kleiderschrank, gibt es noch Platz. Auf der zerwühlten Bettdecke liegt Janniks Laptop. Die zwei Kopfkissen sehen durchlegen aus. Ich bin mir sicher, in diesem Bett hat Jannik letzte Nacht nicht allein geschlafen. Ob Valerie hier gewesen ist?
Ich öffne den Kleiderschrank, entdecke nichts Auffälliges. Keine Frauenkleider. Ich schiebe den Laptop und die Decke zur Seite. Auch auf dem Bett keine Spuren. Jannik aber spüre ich in diesem Raum ganz deutlich. Ich lege mich ins Bett, atme tief ein und rieche nicht nur ihn, sondern auch mich. Alles ist wieder da. Die Stille ist laut.
Ich stehe auf, lasse meinen Abdruck auf der Matratze zurück und gehe hinaus. Draussen scheint die Sonne und ich lasse die Haustür offen stehen. Das Gartentor schliesse ich hinter mir.

Arja Lobsiger, geboren 1985, Schriftstellerin und Lehrerin, lebt in Nidau (Schweiz). Sie studierte am Literaturinstitut in Biel. Anschliessend absolvierte sie an der Pädagogischen Hochschule Bern die Ausbildung zur Sekundarlehrerin. Arja Lobsiger veröffentlichte Essays, Gedichte und Kurzgeschichten in Zeitschriften und schrieb für den Zürcher Tagesanzeiger einen Literaturblog. Sie ist Gewinnerin verschiedener Literaturwettbewerbe, unter anderem des Berner Kurzgeschichtenwettbewerbs. Für ihren Debüt-Roman „Jonas bleibt„ erhielt sie mehrere Förderbeiträge von Berner Gemeinden, der Erziehungsdirektion des Kantons Bern sowie Migros Kulturprozent.

Beitragsbild © Carmen Wueest

Dana Grigorcea «Marieta»

Marieta war eine feine Dame aus Bukarest – Anwältin, wie ich von meiner Grosstante wusste –, und sie besass eine Ferienwohnung, Zaun an Zaun mit uns. Als ihr Mann erkrankte, erbarmt sie sich seiner, obwohl er sie ein Leben lang belogen und betrogen hatte. Das vertraute Marieta der schönen Frau des Zwerges an. Sie verliess also alles und zog mit ihrem Mann in das Ferienhaus hier „an der frischen Luft“. Sie war ihm ergeben, wie das ganze Leben schon, und bestand darauf, ihn ganz allein zu pflegen. „Eine junge Pflegerin ist das letzte, was wir jetzt brauchen“, sagte sie ihm.
Man sah sie im Salatbeet und bei den Kartoffeln, mit grosser Sonnenbrille und Hut, oder dann Tee trinkend, Sessel an Sessel mit ihrem Mann, an sonnigen und nicht ganz so sonnigen und dann schattigen Stellen im Garten; sie setzte die Rattansessel um, fast schon stündlich, „ein bisschen Abwechslung braucht man im Leben“, sagte sie ihm. Einmal die Woche fuhr sie in die Stadt, nach Bukarest, um Medikamente zu besorgen, berufliche Anfragen abzulehnen und die Wäsche von einer Haushälterin ihres Vertrauens waschen und bügeln zu lassen – sie schleppte stets einen schrankgrossen Koffer mit sich –, denn sie hatte selber nie einen Haushalt geführt, und auch wenn sie jetzt darauf brannte, solches zu tun, galt es, Prioritäten zu setzen.
Wie schlimm es um ihren prekären Haushalt stand, wurde sichtbar, als ein Baum heranwuchs mitten in ihrer Wohnung.
„Wollt ihr ihn sehen?“ fragte sie jeden, mit dem sie sich am Zaun unterhielt, und sie unterhielt sich liebend gern „am Zaun“, wie so viele Leute auf dem Land, legte sich eigens dafür eine entspannte Pose zu, breitbeinig, den Arm in die Hüfte gestützt, den anderen am Zaun angelehnt: „Schauen Sie bitte nicht auf meine Nägel, ich komme von den Kartoffeln.“
Der Baum sei eines Tages einfach da gewesen, in Kindesgrösse, sie habe ein Dokument gesucht in einer Schublade und dabei so einiges herumgeschoben, den Schrank und einen Kleiderständer, „stellen Sie sich vor“; ob man sich denn mit Bäumen auskenne? Es könnte sich hier um einen Maulbeerbaum handeln oder einen Kirschbaum, ja, zweifellos. Und jeder folgte natürlich ihrer Einladung. Wer hatte das schon erlebt damals, dass ein Baum wuchs in der Wohnung? In einer noblen Ferienwohnung dazu; dass ein Sprössling durchs gewichste Parkett spriesst, „ein Wunder der Natur!“
Auch mich hat sie eingeladen, den Baum zu sehen. „Sprich doch mit ihr“, hatte mich meine Grosstante ermutigt, „sprich einfach mit ihr, dann wird sie dich bestimmt einladen!“ Und so kam es auch. Ich war so aufgeregt und darauf bedacht, den guten Eindruck, den Madame Marieta stetig erwähnte von mir zu haben, weiterhin zu bestätigen, dass ich gar nicht richtig hinschaute, in der dunklen Ecke ihres Zimmers, und vielleicht hätte ich auch so nichts gesehen, bedenkt man, dass ich länger draussen gewesen war, in der Mittagssonne, und es dunkel war im Haus. „Siehst du es?“ fragte sie, und ich nickte erschrocken. Sie lachte und zupfte mich am Arm. „So wie du muss auch ich dreingeschaut haben, als ich es entdeckte.“
Nunmehr hielt Marieta nichts mehr auf dem Rattansessel, so ganz ohne ihren Mann; immer öfter stand sie auf und ging ins Haus, um nach dem Bäumchen zu schauen. „Was meinst du, dass es ist?“, soll sie ihren Mann öfters gefragt haben, aber der gab keine Antwort, und Marieta soll ihm da seine Krankheit verübelt haben, zumindest soll sie der schönen Frau des Zwerges gesagt haben, dass sich ihr Mann eine zu ihm „allzu passende“ Krankheit gewählt hatte, eine, die seine Charakterfehler als körperliche Gebrechen weiterführe. Und dennoch war sie ihm weiterhin treu ergeben und bereit, alles mit ihm zu teilen.
„Es ist ein Kirschbaum!“ verkündete sie ihm freudestrahlend, ihm und allen Nachbarn, und sie sprach von „unserem Kirschbaum“ und streichelte die lahme Hand ihres Gatten und setzte ihn im Garten um, beim kleinsten Windstoss setzte sie ihn um; und diese Geschäftigkeit liess sie sehr jung wirken – wie alt mochte sie damals gewesen sein? Ich weiss noch, wie ich ihre Kleider schön fand, geblümte Petticoats, wie man sie in ihrer Jugend getragen hatte, mit Punkten oder farbig bedruckt mit Obstmotiven. Die Madame lachte und war sehr vergnügt; sie habe es eigentlich im Gefühl gehabt, dass es ein Kirschbaum werden würde, ein Kirschbaum! Man stelle sich das vor!
Und dann beschloss die Madame, eine Lücke zu schlagen ins Dach, damit der Baum Licht bekomme und gut wachsen könne.
Der neue Bauplan wurde so schnell umgesetzt, dass nur wenige Nachbarn etwas davon mitbekamen, das natürlich mit Ausnahme derer, die zum Vorhaben beitrugen, selbsternannte Baumeister, die ansonsten Schichten schoben in der Papierfabrik; es ist nicht klar, wer was zu verantworten hatte, denn die Madame sprach ihren Baumeistern drein, stieg aufs Dach mit einer Küchenschürze über dem Kleid und einem Tuch um Kopf und Gesicht, wie eine Beduinin sah sie aus, und hämmerte mit, genau dort, wo andere gerade aufgehört hatten zu hämmern.
Und als alles fertig war, hatte der Baum Licht und Raum. Aber nach einigen Wochen stürzte das Dach ein. Es stürzte ein mitten in der Nacht, über Marietas Mann, den man aber wieder ausgrub und der ausser ein paar Kratzern keinen Schaden genommen hatte, zumindest dem Anschein nach, weil er wegen seiner Krankheit, über die man nichts Genaues wusste, ohnehin kaum sprach und meistens nur benommen lächelte.
Der Kirschbaum brach zwar entzwei, aber er wurde zusammengebunden, und bei dieser Gelegenheit auch gepfropft von der schönen Frau des Zwerges. Ich sah das Bäumchen zwischen den Trümmern, endlich sah ich es, und es mag wohl eine Verklärung der Erinnerung sein, dass ich es in der leuchtenden Abenddämmerung sah. Seine Ästchen glühten verheissungsvoll, ganz wie die knallroten Baukräne gegen den Bukarester Himmel.
Die Nachricht vom Dacheinsturz schien Marieta nicht aufzuwühlen, ihr Mann und das Bäumchen seien ja wohlauf, das Geschehene ein willkommener Ansporn, um mit der Arbeit anzufangen am ohnehin sanierungsbedürftigem Haus.
Als sie aus Bukarest zurückkehrte, Tage später, berief sie die selbsternannten Baumeister ein und beauftragte sie mit der Errichtung einer kleinen Holzbaracke mit Blechdach, drei Mal so gross wie die winzige Plumpsklohütte im Garten hinter den Salatbeeten, die sie nun ebenfalls hegen wollte. In der neu errichteten Holzbaracke zwängte sie ihre Matratzen und Decken und auch ihren Mann hinein, den sie lachend „Prinzessin auf der Erbse“ nannte. Und dann riss sie das Haus nieder – sie erledigte das fast ganz allein, zu delikat war ihr die Arbeit erschienen, so nah am Bäumchen.
Ich sehe noch, wie sie um die staubige Mauer herumlief, eine Küchenschürze über dem geblümten Sommerkleid, und mit einem kleinen Hammer gegen die Backsteine hämmerte; ein leises, unstetes Hämmern, sie hämmerte an alle Backsteine, die noch aufeinander standen, und dann hämmerte sie vorsichtig den Mörtel weg und wusch die Backsteine einzeln in einem kleinen Eimer. Ich mochte diesen Geruch, der sich aus ihrem Hof erhob, zusammen mit dem kalten Staub. Es roch erdig und nass, wie nach einem Frühlingsregen auf dem Land.
Ich begann, Madame Marieta öfter zu besuchen; und sie setzte mich in ihrer Nähe auf einen Campingstuhl, ich hatte eine Tasse Tee in der Hand, und wir führten angenehme Konversationen, worüber, habe ich vergessen, aber sie waren angenehm, und wir lachten viel dabei, denn Madame hatte einen feinen Humor, und ich weiss noch, wie sie damals anfing zu rauchen, insgeheim, beim kleinsten Geräusch aus der Holzbaracke schnippte sie die brennende Zigarette über den Zaun auf die Strasse und nahm kurzerhand ihr Hämmern auf, sie hämmerte leise und mit kleinen Gesten, als würde sie häkeln.
Auch andere Nachbarn kamen vorbei, meine Grosstante oder die schöne Frau des Zwerges erschienen öfter; und sie sassen auf den Campingstühlen und tranken Tee, während Madame leise weiterhämmerte und jede von Zeit zu Zeit angebotene Hilfe auf ihre sanfte, aber strikte Art ablehnte, „das ist doch nicht viel, ihr macht euch nur schmutzig.“
Irgendwann, und das unerwartet, war das ganze Haus weg und der Hof so geräumig, wie man es nie vermutet hätte.
Und Marietas Mann, der anfangs noch auf einem Sessel im Garten sass oder mit vorsichtigen Schritten zum Plumpsklo ging hinter die Salatbeete, kam gar nicht mehr heraus aus der Baracke. „Bleib drin, Lieber“ hatte ihn die Madame all die Jahre gemahnt, „wir haben hier überall eine Baustelle.“
Weil man ihn nicht mehr sah, vergass man ihn; die Erinnerung an ihn kam erst auf, als sich die Madame eine Heizung in die Baracke einbauen liess, nachdem ihr Mann im langen Winter zuvor so gefroren hatte, dass, ihrer Aussage nach, seine Finger und Zehen zunächst blau geworden und dann schnell abgefallen seien.
Hierzu muss ich sagen, dass ich die Madame nur in den Sommerferien erlebte und jeden Sommer nach der Fortsetzung ihrer Geschichte verlangte, so dass manche zum Zeitpunkt des Erzählens weiter zurückliegende Details der Geschichte – wie die mit den schnell abgefallenen Fingern und Zehen – weniger bannten als unmittelbar Erlebtes, etwa Madames kluges Verhandeln mit den Baumeistern um eine Heizung, die sie am Ende fast umsonst bekam.
In jenem Sommer war der Kirschbaum schon an die zwei Meter hoch gewachsen, und wir tranken unseren Tee auf den Campingstühlen in seinem Schatten, Madame Marieta, meine Grosstante, die schöne Frau des Zwerges und ich. Beim kleinsten Windstoss rauschten die Blätter wie Schellenringe. Marieta rauchte und liess dann die Hand mit der brennenden Zigarette hinter die Rücklehne hängen, eine Geste, die mir als Pubertierender ungemein imponierte. Beim Weggehen waren sich meine Grosstante und die schöne Frau des Zwerges stets darüber einig, dass Marieta eine feine und besonnene Frau war, wie es kaum noch welche gebe.
Ein oder zwei Jahre später zog Marieta nach Bukarest. Sie kam nie wieder zurück, ich glaube, ihr Mann war gestorben. Ihr Neffe zog hier ein dreistöckiges Ferienhaus hoch.

Dana Grigorcea, geboren 1979 in Bukarest, studierte Deutsche und Niederländische Philologie in Bukarest und Brüssel. Mit einem Auszug aus dem Roman «Das primäre Gefühl der Schuldlosigkeit» wurde Dana Grigorcea in Klagenfurt beim Ingeborg Bachmann-­Wettbewerb 2015 mit dem 3sat-­Preis ausgezeichnet. Ihr Erstling «Baba Rada. Das Leben ist vergänglich wie die Kopfhaare» ist im Oktober 2015 ebenfalls im Dörlemann Verlag neu erschienen. Nach Jahren in Deutschland und Österreich lebt sie mit Mann und Kindern in Zürich.

«Die Dame mit dem maghrebinischen Hündchen» auf literaturblatt.ch

Dana Grigorcea liest am 3. November im Theater 111 in St. Gallen mit dem Musikerduo «Stories»!

gezeichnet von Lea Frei am Wortlaut-Literaturfestival St. Gallen 2018

Milena Michiko Flašar «Gelbe Hände»

Es war ein Sommertag. Turmhohe Wolken. Ich lief – den Kopf im Himmel – von der Schule heim. Nach Hause kommen. Das war: Der Geruch von frisch gekochtem Reis. Die Stimme der Mutter. おかえりなさい. In diesem einen Wort war ich zu Hause, in seinem freundlichen Klang. Dem entgegenzulaufen – mit fliegenden Zöpfen – ist das, was ich heute unter „Kindheit“ verstehe: Kaum den Boden zu berühren. Mein Körper (noch keiner, dessen ich mir bewusst gewesen wäre) war leicht wie der eines Vogels.

An jenem Tag aber wurden mir die Flügel gestutzt und auch wenn ich es damals nicht vorhersehen konnte, war er ein Punkt (einer von vielen), von dem aus es kein Zurück mehr gab. Erwachsensein, das heißt wohl: Sich an derlei zu erinnern. Älterwerden: Es mit einem Lächeln zu tun. Das Grüppchen Kinder, das mir an jenem Tag den Weg versperrte, war – im Nachhinein betrachtet – das Abbild einer Welt, der es – so oder so – gegenüberzutreten galt.

„Hey, du!“ Jemand hatte mich am Ärmel gepackt. Aus dem Gebüsch rief es „Tsching-tschang-tschung“. Gefolgt von einem Kichern und einer Handvoll Kieselsteine, die quer durch die Luft auf mich herniederprasselten. „Zeig uns deine Hände“, hieß es. Ich streckte sie aus. „Die sind ja gelb!“, hieß es weiter. Mit Nachdruck: „Gelb!“ Aus dem Gebüsch rief es „Schlitzauge-Chinese-Bambusfresser!“ Dann ließ man mich laufen. Aber ich lief nicht. Ich ging. Zum ersten Mal lastete das Gefühl eines Unterschieds auf mir, der davor keine Rolle gespielt hatte, und zum ersten Mal schämte ich mich für die Besonderheiten meiner Herkunft und noch mehr für den Wunsch, normal zu sein, eine von denen, die im Gebüsch gesessen waren. Im Licht der Sonne betrachtete ich meine Hände. Sie waren tatsächlich gelb. Bis dahin waren sie einfach nur Hände gewesen. Hände zum Klettern, zum Graben, zum Sandburgenbauen. Dabei waren nicht sie es, die sich verändert hatten, sondern mein Blick, der soeben eine Kränkung erfahren hatte.

Mit diesem gekränkten Blick trottete ich heim. Es roch nach frisch gekochtem Reis. Die Stimme der Mutter. おかえりなさい. Mein Zuhause hatte einen Riss abbekommen, wie von einem kleinen, nicht messbaren Erdbeben. Ich sagte „ただいま“ und legte die Schultasche ab. Mein Körper (plötzlich wusste ich um ihn) war schwer. Ich spürte den Boden unter mir.

 

Anmerkungen:

おかえりなさい (Okaerinasai): Japanische Grußformel. Sagt man bei der Rückkehr eines Familienmitglieds. In etwa: Willkommen daheim.

ただいま (Tadaima): Japanische Grußformel. Sagt man, wenn man nach Hause kommt. In etwa: Bin wieder daheim.

 

Milena Michiko Flašar ist 1980 in St. Pölten geboren. Ihr Roman «Ich nannte ihn Krawatte» wurde über 100.000 Mal verkauft, als Theaterstück am Maxim Gorki Theater uraufgeführt und mehrfach ausgezeichnet. Er stand unter anderem 2012 auf der Longlist des Deutschen Buchpreises und wurde in zahlreichen Sprachen übersetzt. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in Wien. Eine Rezension ihres neusten Romans «Herr Katō spielt Familie» auf literaturblatt.ch lesen sie hier.

Beitragsbild © Helmut Wimmer.

Yves Rechsteiner «Am Ende der Treppe»

Nur ganz dumpf und entfernt kann ich das aus dem Keller kommende Scheppern und Poltern hören. Es ist beinahe so als passiere dies im Nachbarshaus oder im Fernsehen. Aber es ist hier am Geschehen, bei uns, ohne jeglichen Zweifel; da fällt ein schwerer, plumper Männerkörper die steile Kellertreppe hinab.
Dass es sich um einen schweren, plumpen Männerkörper, der bei uns die steile Kellertreppe hinabfällt, handelt, weiß ich deshalb, weil der Vater seit einer halben Stunde immer wieder betrunken nach frischem Bier ruft.
Hol noch einen Kasten Bier aus dem Keller!
Ein Rufen, das ich seit dieser halben Stunde ignoriere.
Ich tue so, als hörte ich ihn nicht.
Ich tue so, als wäre ich gar nicht hier.
Und sowieso: Er hat mir nichts mehr zu sagen, der Vater.

Durch die Dunkelheit, die mich und das Innere dieses Hauses umgibt, vernehme ich die Geräusche dieses Fallens mit berauschendem Wohlwollen.
So als hätte ich seit langem darauf gewartet.

Ich stehe mittlerweile unten im Erdgeschoss am Sicherungskasten und lausche aufmerksam, versuche zu hören, ob noch Weiteres geschieht, ob sich da unten auf dem kalten Kellerboden noch etwas regt oder atmet, ob da etwa jemand ruft oder gar fleht.
Ob noch immer jemand nach Bier verlangt.
Aber ich bin nicht sicher, ob da etwas ist.
Und dann bin ich es plötzlich doch: Schwache, gebrochene Wortfetzen bilden sich dort unten im Keller, röchelnd kriechen sie aus einem zu Tode erschrockenen Mund hinaus, vereinen sich schließlich zu Worten, dann vielleicht zu Sätzen, zu einer Nachricht an mich oder jemand anderen, der doch bitte sofort zu Hilfe eilen soll.

Ich drehe die Sicherung wieder hinein und gehe zur Kellertür hinüber. Hinter dieser Tür muss der Vater vor ein paar Minuten die Treppe hinunter gegangen sein, und just in diesem Moment hat es die Sicherung wieder einmal rausgehauen.
Dann muss er gefallen sein. Die Treppe hinunter.

Die Dunkelheit ist jetzt wieder verschwunden, und das grelle Licht des Flurs ergießt sich über meinen bebenden Körper, meine zufriedene, meine lachende Seele.

Noch bevor ich die Kellertüre öffne, verharre ich einige Augenblicke, mit der Hand auf dem schweren Knauf, und gehe gedanklich zurück zu dieser anderen Dunkelheit, die mich und das Innere desselben Hauses vor fünfzehn Jahren umgeben hat.

Es war eine kalte Winternacht, und der Vater hatte Besuch von seinen Freunden; grobschlächtige Männer von der Baustelle, mit kräftigen Armen und verblassten Tätowierungen, mit rauen Gepflogenheiten und grobem Jargon. Die Mutter war schon seit längerem tot, und so waren nur die garstigen und auch lauten Männerstimmen meines Vaters Freunden im Hause zu hören. Es wurde getrunken und laute Musik gespielt, gelacht, gejohlt. Das ganze Haus roch nach Rauch und Schweiß und Alkohol, und von einem unaussprechlichem Etwas, das ich nicht einordnen konnte.
Lange lag ich wach, vergrub meinen Kopf unter dem Kissen, wartete auf einen reinigenden, sanften, mich hinweg tragenden Schlaf.

Ich schlief dann schließlich ein, irgendwann, und ich erwachte erst, als alles wieder ganz still und dunkel war, so als gäbe es gar kein Leben, so als würde nichts geschehen, so als wäre alles bloß Dunkelheit, hier und überall.

Dann stand er plötzlich und wie aus dem Nichts aufgetaucht vor meinem Bett. Bedrohlich, allen Platz einnehmend. Der Vater roch stark nach Bier, nach kaltem Rauch und einer dichten, vagen roten Wut. Es war dunkel, bloß seine Augen und seinen feuchten Mund konnte ich durch das matte Mondlicht hindurch erkennen.
Er lallte schwere Worte: Stromausfall, kroch es aus seinem Mund, im ganzen Viertel.
Und dann, noch bevor ich etwas erwidern konnte, saß er auf mir und hielt mir mit eisigem Griff den Mund zu. Ich vernahm ein herablassendes und auch herausforderndes Grinsen. Dann das Geräusch, das seine schwere Zunge machte, als er sich über die Lippen leckte.
Ich wollte schreien und kämpfen, aber es gab nichts, das ich hätte tun können, für mich war er so stark wie tausend Männer, wie eine Armee.
Die Schläge, die folgten, waren härter als gewohnt, und es waren auch nicht die Schläge, die, wie sonst in diesen Nächten, alles endeten, alles abschlossen, nein, es ging noch weiter, noch viel weiter; an diesem Tag, in dieser Nacht gab es keine menschlichen Grenzen mehr in diesem dunklen und bitter kalten Hause.
Der Vater riss und zerrte an mir, keuchend, grinsend und auch Wut schnaubend, bis ich nichts mehr an mir hatte, bis ich schließlich nackt und schwach und wehrlos alles verlor, was ich verlieren konnte – meine Unschuld, die dort und dann, in dieser dunklen, kalten Winternacht einfror und nun nicht mehr mit mir wachsen, niemals alt werden würde…

Und jetzt, im grellen Licht des Flurs stehend, an die vielen weiteren Übergriffe, die nach jener Nacht damals noch folgten, denkend, öffne ich die schwere Kellertüre und blicke die mittlerweile beleuchtete Treppe hinunter. Ganz langsam und mit wohliger Genugtuung im Herzen folge ich mit den Augen den Weg hinab, den der schwere Männerkörper fallend hinter sich gebracht haben muss. Und ja, da ist er: Vierzig Stufen weiter unten kann ich ihn sehen, den Vater, über ihm ergießt eine an einem Kabel hängende Glühbirne seinen schweren und harten Körper.
Er röchelt etwas, hustet, gurgelt, scheint etwas sagen zu wollen, vielleicht sogar zu rufen, aber es will ihm nicht gelingen, die Worte sterben noch in seinem Mund bevor sie geboren werden. Dann scheint er mich zu bemerken. Er schaut zu mir hinauf, erkennt mich wohl, fixiert mich, versucht dann mit einer Hand zu winken, mir etwas zu signalisieren, seine Augen voller Angst und Flehen und vielleicht ja auch Reue.

Vorsichtig und langsam gehe ich die lange, steile Treppe hinunter, bis ich schließlich über ihm stehe und auf ihn hinabsehe.
Er ist ganz still jetzt, seinen Atem kann ich entfernt zwar noch wahrnehmen, aber es wird nicht mehr lange dauern, das weiß ich ganz genau.
Ganz leicht komme ich mir in diesen Augenblicken vor, es ist mir so als wäre eine schwere Last von mir gefallen – eine Last, von der ich gar nichts mehr wusste, ein Gewicht, das ich schon so lange mit mir herumtrage, dass es schon so sehr ein Teil von mir geworden ist wie etwa ein Bein.
So unerwartet leicht fühle ich mich jetzt.
Und endlich bin ich es, der die Worte Ein Stromausfall zu ihm sagen darf, jene Worte, die er damals benutzt hatte.
Ein Stromausfall. Im ganzen Viertel. Weißt du noch?
Ohne zu lächeln blicke ich ihn an. Tief in seine Augen. Wartend, die Sekunden spürend.
Weißt du noch?
Etwas regt sich in ihm, es wollen noch Worte kommen. Sie kommen aber nicht. Das ist vorbei.
Was jetzt noch ist: er atmet hörbar aus. Es hört sich an, wie wenn die Luft aus einem Reifen entweicht.
Er möchte wirklich noch etwas sagen. Aber… er kann nicht. Wie wenn ihm das verwehrt würde.
So blicke ich also in seine Augen, und kurz bevor das Leben ganz und für immer aus ihnen entschwindet, erkenne ich, dass er genau versteht, dass er nun, wie damals meine Unschuld, für immer einfrieren und nicht mehr älter werden würde.

Über «Die Kunst des Verhungerns»: In den auf wahren Begebenheiten basierenden drei Novellen erzählt Yves Rechsteiner von den verworrenen und verstrickten Phasen eines Lebens, das sich nicht einzwängen lassen will in die Konventionen der Normalität. So ist der namenlose Protagonist nach Kalifornien gezogen, um dort ein Rockstar zu werden, er strauchelt aber, bricht schliesslich alle Brücken hinter sich ab und beginnt eine Irrfahrt ins Ungewisse. Jahre später erinnert sich der Erzähler an seine Kindheit in der Kommune und fordert Klarheit über die Vergangenheit, rechnet mit allem und allen ab. Als der Vater dann aber an Krebs erkrankt und auszieht, diesen auszuhungern, tritt alles Nebensächliche in den Hintergrund. «Die Kunst des Verhungerns» Münsterverlag

Yves Rechsteiner *1974 in Basel. Musiker, Dichter und Liebhaber des unkonventionellen und bohemianischen Lebens mit zahlreichen, ausgedehnten Aufenthalten und Reisen rund um den Globus. Yves Rechsteiner schreibt Erzählungen, Hörspiele, Theaterstücke, Lyrik und längere Prosa. Sein Debütroman «Als läge dort tot der Vater» ist 2015 bei Marta Press erschienen. 2016 im Waldgut Verlag «Und dann fängt die Vergangenheit an», besprochen auf literaturblatt.ch