Vogelstill ist es in mir und wolkenschwer hängen die Gedanken in Himmeln die noch nicht erschlossen sind dem Winter will ich sein Eis abgraben schürfen vom Tag was tiefer als Kristalle liegt schwerer wiegt als Erde noch von Laub bedeckt vogelstill ist es in Himmeln die keiner kennt wo Eisluft vor sich sich hin treibt und die Zeit faltet wie Papier
Tomaten schneiden
Schneide die Zwiebeln, die Tomaten Scharfes Messer dringt nicht in mein Fleisch Roter Vogel über dem Haus fliegt ganz tief Ich bleibe hier, hier drin bis ich das Geräusch von Flügeln nicht mehr höre auf dem Dach
Wenn wir schliefen (Über Dächern Schnee)
Der Schnee auf den Dächern – nackt – die Konturen unscharf Wenn auch die Krähen stumm bleiben gibt es nichts mehr zu sagen
Wenn wir schliefen, wenn wir doch nur schliefen
Wer weiß schon wo wir hingehören wenn kein Wind mehr weht und alles so still ist
Wenn wir schliefen, wenn wir doch nur schliefen
Ein Haus aus Glas würde auch nicht mehr zeigen bei all› dem Weiß und Grau und Katzen hinter Schornsteinen sind unsichtbar
Wenn wir schliefen, wenn wir doch nur schliefen
Vielleicht, wenn wir schliefen, könnten wir die Farben sehen, wie sie wirklich sind
Wenn wir schliefen, wenn wir doch nur schliefen, träumten wir die Krähen bunt.
Astrid Ylva Dornbrach (1965) wurde sie in Pirmasens geboren und wuchs dort auf. Nach der Schauspielausbildung in München kehrte sie in die Pfalz zurück und arbeitet als freie Journalistin unter anderem für die Rheinpfalz. Heute lebt sie als Autorin mit ihrer Tochter in Berlin. Ihre Erzählungen und Romane spielen häufig in der Pfalz. Ihre Texte sind in einigen Anthologien veröffentlicht, beispielsweise in der WORTSCHAU.
Hinter der Haustür steht die Schwüle. In der Luft liegt ein hohes Sirren. Ein elektrisches Sirren wie Bauarbeiten. Eine Flex mit Wasserkühlung vielleicht. Ein Gerät in der Hand eines Wanderarbeiters. Unermüdlich tätig, sieben Tage, lange Tage. Zusehen, wie Blocks ausgeweidet werden. Zusehen, wie der Berg mit Türen und Zargen, mit Kloschüsseln und Waschbecken wächst. Wie die Berge verschwinden und neue Berge angehäuft werden. Paletten mit Material. Zusehen, wo bald neue Studenten einziehen können.
Ich gehe über den Campus. Ich gehe unter den Bäumen. Und Arbeiter sehe ich nicht. Ich gehe und treffe Konfuzius. Er wartet am Haupttor. Sagt, fordere viel von dir. Sagt, erwarte wenig von anderen. Sagt, erspare dir so viel Ärger. Ich nicke, ich gehe und sitze am Seerosenteich.
Das elektrische Sirren in der Luft, laut, als wäre es ein Flexkonzert. Ich blicke über den Teich und begreife, Bauarbeiter sind hier heute nicht. Schallplatten. Singmuskeln. Trommelorgane. (1) Es sind die unsterblich Geglaubten, die schon zur Han-Zeit als Zungenzikaden den Toten mitgegeben wurden, in der Hoffnung auf baldige Wiedergeburt. Es sind die Singzikaden. Die Männchen machen viel Lärm.
Dahin gehen, wo am Abend die roten chinesischen Zeichen in der Luft hängen. Am Nordtor unter den Augen der Uniformierten das Gelände verlassen, die Straße überqueren, erfahren, dass die Autos immer Vorfahrt haben und die Ampel kein Fußgängergrün zeigen wird. Vor der Glastür eines Ladens stehen, der wie geschlossen aussieht und bereits im Zurücktreten doch noch eine Bewegung drinnen wahrnehmen, als winke mir einer zu. Gegen die Tür drücken und eintreten. Da sitzt eine Frau an der Kasse und hält ihren Säugling auf dem Arm, den sie stillt. Und während ich mich im Laden umsehe und wähle und mich so gut es mit Gebärden geht, verständlich mache, trocknet sie dem Säugling den Kopf mit einem Papiertuch. Und während ich denke, jetzt wird sie das Kind von der Brust nehmen, gelingt es ihr auch mit dem Kind die Waren zu reichen, die Kasse zu bedienen, das Wechselgeld herauszugeben. Ich denke an Pu Yi, den letzten chinesischen Kaiser, wie er von seiner Amme als großer Junge gestillt wird. Ich denke an die Art Gallery unten am Meer mit den martialischen Darstellungen chinesischer Kämpfer, an den Soldaten, der schon tot, gestillt wird von einer Frau, einer Mutter. Pieta ohne Tränen.
(1) Singzikaden erzeugen mit Schallplatten und Singmuskeln ihre „Musik“, sie haben ein Trommelorgan ausgebildet. (2)Zikaden galten schon Platon (429-347 v. Chr.) als „Botschafter der Musen“ und „entkörperlichte Seelen“ . Etwas später datieren die aus Jade gesschnitzten Zungenzikaden (Han-Zeit, 206-220 v. Chr.), die man in China fand und dem Glauben an die Wiedergeburt Ausdruck verleihen.
Monika Littau «Von der Rückseite des Mondes. Chinesische Miniaturen» edition offenes feld, 2021
Monika Littau, 1955 geboren in Dorsten (D) schreibt u.a. Lyrik, Prosa, Romane und Kinderliteratur, erschienen sind mehr als 20 Einzelveröffentlichungen, zuletzt „Von der Rückseite des Mondes. Chinesische Miniaturen“ (2019), „Die sehende Sintiza“ (Roman, 2020) und „Manchmal oben Licht“ (Lyrik, 2021) sowie das „Lesebuch Monika Littau“ (2022). Für ihre Arbeit erhielt sie viele Auszeichnungen und Stipendien, bspw. den Förderpreis für Literatur des Landes Nordrhein-Westfalen und zuletzt den Bonner Literaturpreis (2021). Ihre Lyrik ist übersetzt ins Englische, Tschechische und Arabische.
Aus dem Stadtpark klingt leise Reggae-Musik verhaltenes Lebenszeichen in dämmriger Stille
wer wollte hier schlafende Hunde wecken sie scheinen alle begraben
versprengte Passanten schleichen durch die Gassen, in einer Kampfsportschule beginnt der Unterricht, morgen ist wieder Theater, dann geht es nahtlos weiter über Kopfsteinpflaster im Tänzelschritt Arm in Arm
Nietzsche erhebt sich von seinem Denkmal spricht mit Blei im Mund vom dionysischen Glück
dreht die Musik auf! würde er rufen, mit an der Pfeife ziehen und den Mond anheulen
wollt ihr denn alle begraben sein? und aus den Fenstern schauten die Neugierigen, ein Jurist des Gerichts stürmte herbei den morgigen Tag schon jetzt zu vergessen
sich selbst nicht mehr fremd sein, ob unter Gestrandeten im Park oder vor Ort Versandeten –
In deinen tränenfeuchten Augen ruht ein Blick, der schmerzlich, herzlich dir und mir verwehte Leiden, verlorne Stunden und zerronnen Glück zurückrief beiden. –
Tiergarten
Sie alle bleiben vor der Magnolie stehen sie ist die einzige Attraktion zwischen Pariser und Potsdamer Platz, Schloss Bellevue und Schöneberg
im Halbrund der hohen Eichen blüht sie zum Ostergruß dem japanischen Paar wie einer Gruppe dänischer Radfahrer, die hier posieren für ihr Souvenir und sie bedanken sich bei mir für das Bild
von der Luiseninsel klägliches Hundegewinsel eine schrille Stimme keifert und schreit
ich schaue in mein Buch lese den Stummfilm aus schwarz-weißen Zeichen ein stiller Souffleur vor dem Halbmond der Eichen ins eigene Spiel vertieft
ein Specht hämmert zur Pause mitten im ersten Akt, ein Rapper seines Fachs: drei schnabelschnelle Schläge BAUM BEAT BOX unermüdlicher Rave unter freiem Himmel
hunderte rosaweißlicher Blütenkelche applaudieren im Licht, leuchten auf im milde lächelnden Wind
der Souffleur verlässt die Bühne drei englische Damen suchen nach dem Weg, im Trippelschritt nie stehender Jogger
eine gescheckte Elsterkrähe trippelt in ihre Nähe doch nichts fällt für sie ab der Nächste kommt und bleibt vor der Magnolie stehen
wie ein Baum, der das Zittern nicht kennt denkt er sich Wurzeln, eine Aufenthaltsgenehmigung unter der Erde, Vorfahren, die einem das Leben schenken – nicht weiter denken
auf der Krim sind Freunde von ihm stationiert die Verteidigung seiner Doktorarbeit steht kurz bevor und dann geht es zurück in die Heimat, in ihren neuen unausweichlichen Grenzen
Die Augenweide nannte sie ihr Geschäft eine Mischung aus Café und Buchhandlung
wir kannten uns beim Namen sie verkleinerte ihren Laden blieb in Bücher gekleidet, eine stille Augenweide
der letzte Lehrling wurde ihr Nachfolger, ließ das Schaufenster aufblühen, die Wände streichen
sie selbst zog sich zurück, verschenkte ihre Bücher
heute ist sie mir auf der Straße begegnet und erkannte mich nicht
wie in der Verpuppung erstarrt, spannte sich ihr Anorak zur Hülle, hielt sie die Plastiktüte fest
ich lief nicht hinter ihr her, blieb in der Vergangenheit und sah ihrer Gegenwart nach, mit unsicherem Schritt über die Gleise
Straßenfest
Der Baum schmiegt sich ans Haus die Wärme seiner Steine Blütenäste greifen aus durch die gespannte Leine quer über den Asphalt flattern bunte Tücher zwischen den Ballons
ein Kind hält das andere fest, sie drehen sich im Kreis, kreiselkreideweiß
während die anderen hüpfen drei vor und zwei zurück, mit oder ohne Gummi ein Tanztheaterstück
„Jetzt bist du dran!“ zeigt ein Mädchen auf mich und alle lachen – auch ich
Februarmorgen am Rhein
Schillernde Schieferschatten, fließende Furchen
vom Grau des abziehenden Regens getränkt, wälzen sich unter der Last der Kähne Stromschnellen und -wellen durch die Tiefe des Tals
Ausläufer der Schmelze in den Bergen von Schnee und Gletschereis ausblutende Wunden immer schärferen Lichts
wie es von neuem durch die Wolken bricht blendend grell den Blick verengt, über den Flussteppich tanzt in Silberschleifen
als wären die Schiffe ohne Schwere und Kraft, nur behäbige Masse unbändiger Energie, Luftspiegelungen im Funkenschlag –
die Augen schließen vor dieser Wirklichkeit
in sich vor Anker gehen
Volkmar Mühleis, geboren 1972 in Berchtesgaden, lebt und arbeitet in Brüssel, wo er an der Kunsthochschule LUCA School of Arts Philosophie und Ästhetik unterrichtet. Zu seinen literarischen Buchveröffentlichungen gehören die Gedichtbände «Fête de la Musique» und «Gesichtsverlusterkennung» sowie das «Tagebuch eines Windreisenden» und die Novelle «Wasserzeichen».
Mutters Sprache lässt sich vermessen wie das Schnittmuster für ein leichtes luftiges Kleid. Oder wie für einen zu eng sitzenden steifen und unbequemen Anzug. Gefangen in Launenhaftigkeit, schwankend zwischen heiterer Fröhlichkeit und finsterer Unzugänglichkeit durchpflügt sie die Tage. Und dazwischen Leni, die kleine Tochter.
Mutters Sprache ist spitz wie Stecknadeln, welche den Stoff zusammenhalten. Die Worte ritzen Lenis Seele. Leni schaut und lauscht den Stimmen hinter der geschlossenen Glastür. Sie sitzt dort gemeinsam mit dem Hund und versucht, durch das mit Schlieren versetzte Türglas die verschwommenen Umrisse der Mutter und der Gestalt einer weiteren Person zu erkennen. Mutter jagt Hund und Leni von der Glastür weg, sie ist mit Kundschaft beschäftigt.
Mutters Sprache zerschneidet Lenis Tag in Aufstehen, Mittagessen, Nachhausekommen und Schlafengehen. Dazwischen, wenn sie nicht draussen unterwegs ist, liegt Leni auf dem Rücken in ihrem Zimmer und beobachtet durch das Fenster die die vorbeiziehenden weissen Wolkengeschöpfe. Sie zeichnet die Umrisse in ihrem Kopf nach: ein Fisch, ein Teufel, ein Drache, eine Maus, ein Hund. Für Leni sind es glückliche Tage, sie kennt nichts anderes.
Abendessen gibt es dann, wenn der Vater nach Hause kommt. Danach richtet sich Mutters Tageszeit. Der Tisch wartet, gedeckt mit drei Tellern. Leni ist überzeugt, in der falschen Familie zu leben. Vielleicht ist sie adoptiert, denkt sie.
Immer, wenn Mutter mit Kundschaft beschäftigt ist, bleibt Leni sich selbst überlassen. Ihr Reich befindet sich draussen. Sie turnt an der Teppichstange oder verbringt die Zeit vor dem alten Speicher. Durch den breiten Spalt über der Türschwelle spähend und ohne etwas zu erkennen, versucht sie sich vorzustellen, was im Innern des alten kleinen Hauses wohl sein könnte. Welche Geschichten sich dort abgespielt haben könnten, schlimme vielleicht oder auch frohe. Darüber vergisst Leni die Zeit. und die Mutter muss sie suchen, zusammen mit dem Hund an der Leine.
Wenn es regnet, oder nach dem Mittagessen muss Leni in ihrem Zimmer bleiben. Sie richtet dann Räume in Kartonschachteln ein und stellt sich vor, sie würde darin leben. Allein, oder zusammen mit ihren Stofftieren. Sie erzählt ihnen die Geschichten, die sie erfindet. Sie handeln von kleinen Reichen, Inseln, die sich unter einem Baum oder auch mitten in einem See befinden. Um diese Inseln schwimmen Monster, die sich unter ihrem Bett verstecken. Die Mutter erzählt Leni auch Geschichten, abends, im Bett. Leni will dieselbe Geschichte immer wieder hören. Es ist die Geschichte eines Mädchens, dass die Noten auf der Blockflöte nicht spielen konnte, weil ihre Finger die Löcher nicht in der der richtigen Reihenfolge decken konnten oder sich die Löcher hurtig wegduckten, bevor die Finger sie fanden. Die Flötenlehrerin, eine der Mutter ähnelnde Frau mit seltsamen Unterrichtsmethoden verlor die Geduld und schleuderte das hölzerne Instrument durch das Zimmer. Leni staunt, dass die Flöte dabei nicht zerbrach und die Geschichte damit gut ausging. Doch Mutter will diese Geschichte nicht erzählen, sie gefällt ihr nicht, sagt sie.
Am Tag ist es plötzlich totenstill in der Wohnung. Leni öffnet leise die Zimmertür, dahinter liegt Mutter reglos auf dem Teppichboden. Leni schleicht sich ins Zimmer, setzt sich neben die still daliegende Gestalt und wartet. Mutter bewegt sich nicht. Lebt sie noch? Leni beginnt sich zu fürchten. Vielleicht ist die Mutter tot und Leni und der Hund sind dann ganz allein. Vorsichtig berührt sie den Arm der Mutter. Keine Reaktion. Lenis Angst um die Mutter wächst, sie versucht herauszufinden, ob sie noch atmet. Dabei weckt sie die schlafende Mutter, ihre Stimme zerreisst die Stille wie ein Stück Papier. Leni ist erschrocken und glücklich zugleich, die wütenden Worte der Mutter sind nicht schlimm, weil sie ja lebt und weiterhin auf Leni und den Hund aufpassen kann.
Draussen vor dem Fenster sitzt bereits die Dunkelheit wie ein grosses, pelziges Tier. Leni darf fernsehen. Mutter muss mit dem Hund noch raus, Leni will nicht mit, sie will diesen Film fertig schauen. Als der zu Ende ist, stellt Leni den Fernseher aus. Sie ist allein in der Wohnung. Leni wartet auf die Mutter und den Hund, dass sie endlich zurückkommen.
Keiner kommt. Der Schlüssel steckt im Schlüsselloch. Leni wartet hinter der Tür, spielt am Schlüssel, bis sich dieser dreht. Jetzt ist die Tür verschlossen. Mutter und der Hund können nicht mehr in die Wohnung, und Leni kann nicht raus. Leni spürt, wie das Monster unter ihrem Bett hervorkriecht, um sie zu fangen. Mit zittrigen Fingern nestelt Leni panisch am Schlüsselbund. Der Schlüssel will sich nicht zurückdrehen lassen, so verzweifelt sie es auch versucht.
Leni klettert auf den kleinen Balkon im ersten Stock und über das Geländer. Das Rufen ihrer Kinderstimme nach der Mutter versinkt in der pelzigen Dunkelheit des Abends. Sterne blinken, als Leni über das Geländer klettert und in die Tiefe springt, der Mutter entgegen.
Textile Collage Bader 4/1
Béatrice Bader *1968 ist visuelle Kunstschaffende und Erzählerin des Unaussprechlichen, arbeitet an der Schnittstelle von Kunst und Sprache. Ihre Werke sind wie Fenster in verborgene Welten, geprägt von einer feinen Sensibilität für das Flüchtige und das Bleibende. Ob in Bildern oder Worten – sie sucht das, was hinter den Dingen liegt, das Unsichtbare, das wir fühlen, bevor wir es verstehen. Als Autorin erzählt sie Geschichten, die den Alltag mit Poesie durchdringen, und als Künstlerin verwandelt sie Gedanken in Formen und Farben. Ihre Werke sind ein Dialog zwischen dem Innen und dem Aussen, der Stille und dem Klang. Béatrice Bader lädt ein, innezuhalten – und für einen Moment die Welt neu zu sehen.
Wolfgang Klein, geboren 1958 in Wien, aufgewachsen in Niederösterreich, Abschluss der HTL Wien für heute bereits antiquierte Nachrichtentechnik (Wahlscheibentelefon, 1 Computer für alle Wiener Schulen,…), lebt seit 2004 mit Familie (Ehefrau, Husky- & Mischlingshündinnen) im Wienerwald. Autodidakte künstlerische Tätigkeiten: mit Schrift kombinierte Malversuche, auch Keramiken, vorwiegend jedoch schreibend: Dramulette, Kurzgeschichten, Lieder, Poesie, Lyrik.
Ich hab mich verirrt Wimperntusche vergessen Auf der Treppe Das Fenster ließ sich nicht Schließen der Vorhang Klemmte als Segel Tuch im Rahmen ich musste Auf einen Stuhl steigen Um die Flatter zu machen Kann viel erzählen Von munteren Monden Verschütt gegangenen Verben verloren Geglaubten Schlüsseln Kann auch behaupten Ich spiele bloß mit Der Zeit wenn der Abend Lang genug wird
Innen
Ohne Sonne werfen Wir weniger Schatten Aufeinander dann Wird es wärmer Ich kann dich erkennen Du bist leichter Als Wind du drehst Mir am Glücksrand
Auftritt
Unter der Brücke Weht es mich durch In unvermutete Richtungen Ich soll mich erinnern An große Sprünge Gedächtnis Lücken übertreten dabei Komme ich eigentlich aus Dem Eishaus habe dort Zucker Statt Wasser getrunken und Aufgepasst dass der Überschuss Zeit nicht aufs Kleid tropft Du siehst aus als wolltest du Mir als erster begegnen Nur einmal in diesem Leben Auf meinen Ostmund Setze ich einen Rotstift an Den du für voll nehmen sollst Du hörst ihn glitzern Während ich rede
Glasfasern
In deinen Armen Schleppst du eine Reißprobe Durch die Idylle Sehnen sind am Zerspringen Wir sollten eigentlich Nicht davon sprechen Was du am Sonntag machst Dass Wandern Kein Sport ist Dass wir uns beide Zu schwer sind du solltest Eigentlich gar nicht Mit mir über Sehnen sprechen
Unberührbar
Kopierer geben den Geist auf Was wir schreiben lässt sich kaum Drucken nichts Schwarzes will halten Auf einem Weiß das unter ihm bricht Die Geduld des gesamten Papiers Hängt nur noch an einem Faden Keine Silbe hat deine Augen
Knapp über Null
Zu kühl für die Jahreszeit Sagen sie warten mit Gurkensetzlingen Der Eisheiligen wegen Du gießt Wasser ins Glas es könnte sich Glatt eine Schicht drauf bilden Ich werde eine Clematis pflanzen sag ich Streif deinen Kosmos du siehst Mich an von der Seite als würde sich was Lichtes bestätigen das du Schon lange über mich weißt und nie Ganz glauben konntest
(bisher unveröffentlichte Gedichte)
Franziska Beyer-Lallauret, geboren 1977 in Mittweida, wuchs im sächsischen Muldental auf und studierte in Leipzig Germanistik und Französisch. Nach längerem Aufenthalt in der Bretagne lebt sie heute mit ihrer Familie als Deutschlehrerin und Autorin in Avrillé bei Angers an der Loire Sie schreibt sowohl auf deutsch als auch auf französisch, bzw. überträgt ihre deutschen Texte wie bei ihren beiden letzten Gedichtbänden («Falterfragmente / Poussière de papillon» und «Lauschgoldfisch / Brise Âme», beide dr. ziethen verlag Oschersleben 2022 und 2025) eigenständig ins Französische. Auszeichnungen: Ulrich-Grasnick-Lyrikpreis 2021 (1. Preis), Shortlist des Bonner Literaturpreises 2021, Finalistin beim Lyrikpreis Meran 2022. Mitglied der internationalen Lyrikgesellschaft Leipzig e.V., des Friedrich-Bödecker-Kreises und des PEN Deutschland.
wir sind manchmal doch weiter voneinander entfernt als ich gerne glauben möchte. Sie w i s s e n, weshalb Sie schreiben, wenn Sie sagen: „Wir sind kleine Gefäße, die an einem Ozean nippen. Mein Bestreben als Autor ist es, diesem wilden Exzess Ehre zu erweisen.“ Was für ein Vorhaben! Ich beneide Sie darum. Dagegen komme ich mir vor, als säße ich nackt – wie Victorine Meurent auf Edouard Manets Bild Frühstück im Freien –zwischen lauter sorgfältig gekleideten Damen und Herren, die einen kulturellen Dialog führen, der nicht (wie bei Manet) unter Gleichrangigen, sondern über meinen Kopf hinweg stattfindet. „Chi-Ball“, „Chakra“, „kosmische Verlängerungsschnur“? Sie zweifeln daran, David, aber Sie haben in bestimmten Lebenssituationen Erfahrungen damit gemacht. Respekt! Da kann ich nicht mitreden. „Wörter sind dünn“, sagen Sie. Aber warum kommt mir so vor, als gehorchten sie Ihnen aufs Wort? Mir steht diese Sicherheit nicht zur Verfügung. Ich träume nachts oft, vor einem Schrankkoffer zu stehen, ohne darin etwas zu finden, was mich kleidet. Dann schau ich an mir herunter und erschrecke vor meiner Nacktheit. Wenn ich aufwache oder durch ein Museum gehe oder durch die diversen Kanäle zappe, die uns umwerben, begegne ich diesem Moment des Erschreckens überall wieder. Meine Lage ist die, nackt zu sein, denke ich manchmal. Nackt begegne ich mir auf vielen Bildern. Und in vielen Sätzen. Dort ist auch häufig von Dingen die Rede, die ich nicht verstehe. Was ist richtig und was falsch? Wer bestimmt den Dresscode? Ich habe keine Antwort darauf und gehöre selten „dazu“. Bei meiner Suche nach einem Gegenüber ist es wohl meine Aufgabe, austariert zu werden von einem mich musternden Blick. Oder es gibt erst gar keinen Blickkontakt. Dafür fehlen mir die Worte. Sie gehorchen mir einfach nicht.
Wie gerne würde ich hin und wieder Mondschein-Romantik vermitteln. Sie sagen, Sie hofften dies nicht zu tun. Warum nicht? Steht Mondschein nicht jedem Dichter, der den Eigengeruch der Nacht aus der Lichtverschmutzung bergen will? Da ist sie wieder: die Sehnsucht. Auch nach Mondschein-Romantik. Ich male mir immer noch das Paradies Schlaraffenland Arkadien aus. Kann einfach nicht die Finger davonlassen. Vielleicht bin ich ernsthaft krank und habe wieder zu viele Äpfel gegessen. Vielleicht lebte ich gesünder, wenn ich das Angebot des freundlichen Clubs akzeptierte, der mich bei sich aufnehmen möchte. Das Problem ist nur, dass ich nichts anzuziehen habe, um mich dort vorzustellen.
Gerade komme ich aus Paris zurück, wo ich erneut zwei Monate verbrachte. Wie schon vor zwei Jahren, als Sie und ich uns zufällig dort über den Weg liefen. Dieses Mal liefen mir ständig Soldaten in kugelsicheren Westen über den Weg, Maschinengewehre im Anschlag. Der Ausnahmezustand war überall sichtbar. Ich grüßte die Soldaten, die vor unserem Haus standen, und sie grüßten zurück. Aus welchem Land kommen Sie, fragten sie nach einer Weile des Grüßens erstaunt, denn sie waren es nicht gewohnt, gegrüßt zu werden.
Aus Deutschland, antwortete ich. Sie lächelten. Deutschland nimmt so viele Flüchtlinge auf. Verwandte von uns. Freunde, sagten sie. Traten höflich auf dem schmalen Gehweg zur Seite, wenn sie mich sahen. Da glaubte ich einen Moment lang, im Paradies angekommen zu sein. Wertgeschätzt zu werden, weil das Land, in dem ich lebe, etwas gelernt hat aus seiner Vergangenheit. Wären da nur nicht die ständig wiederkehrenden Anschläge auf Asylantenheime. Im Feuerlegen kennt mein Heimatland sich gut aus.
In Paris lief ich mir die Füße wund. Die Stadt überwältigte mich ohne Angabe von Gründen. Der Ausnahmezustand ließ sie außerdem ganz anders aussehen als beim letzten Aufenthalt. Kontrollen am Gare du Nord. In den Kaufhäusern. Absperrbänder. Terrorwarnung. Keine endlosen Touristenschlangen vor den zentralen Sehenswürdigkeiten. Abgeriegelte öffentliche Grünflächen, wo ich vor zwei Jahren noch flanierte. Was ich wiedererkannte, war architektonische Grandiosität neben Verfall. Eleganz neben Obdachlosigkeit. Stinkende Abfälle neben üppig blühenden Kamelien in struppigen Hinterhöfen. Schon nach wenigen Ausflügen musste ich mich ins Atelier zurückziehen. Meine Füße streikten. Ich streifte mir Schwimmflossen über und tauchte ab. Las in Jean-Pierre Abrahams Buch „DerLeuchtturm“ über das Leben und die Einsamkeit weit draußen im Atlantik.
„Ohne mir dessen bewusst zu sein, bin ich in die stumpfen Seelen alter Seemänner vorgedrungen…Ich wüsste zu gerne, ob sie auf hoher See jenen Moment erlebt haben, da die Haut dünn, endgültig lichtdurchlässig wird.“
Gedankenträgerin, Tusche auf Papier 2019
Jean-Pierre Abraham öffnet mit einer weit ausholenden Handbewegung das Fenster zur Stille. Sie wird zum Leuchtturm vor der Küste der Bretagne. Nach der Lektüre gab ich jeden Plan auf, etwas Bestimmtes fertigstellen zu wollen. Wochenlang studierte ich das Moos auf dem Haufen rostiger Fahrräder vor meinem Fenster. Hatte Besuch von einer einzelnen Taube, die immer auf exakt derselben Stelle des gegenüberliegenden Daches ihr Revier in Besitz nahm. Hörte aus dem Tanzstudio nebenan Übungen in Schreitherapie. In der Waschküche lernte ich ein junges finnisches Genie kennen. Ein Komponist, der seine Mütze tief über die Augen gezogen hatte, gab mir den Link zu seiner ersten Symphonie. Am Ende des Waschprogramms murmelte er entschuldigend so etwas wie „zeitgenössische Musik findet wenig Zustimmung“ und verschwand nahezu völlig unter seiner Mütze. Direkt neben meinem Atelier lag ein russisches Studio. Dort malte Olga Tänzerinnen in Pastelltönen. Da uns eine gemeinsame Sprache fehlte, verständigten wir uns mittels gefüllter russischer Eier und Baguette. Olga beschrieb mir ihre Bilder, indem sie fliegende Bewegungen mit den Armen machte und die Hand aufs Herz legte. Sich die Augen rieb, als müsse sie weinen, wenn sie von Abreise zu sprechen schien und auf ihr Gepäck zeigte.
Ich tauchte noch tiefer in meine Skizzenbücher und hatte das Gefühl, die Seine in meinen Ohren rauschen zu hören. Wahrscheinlich war ich längst auf den Grund des Flusses gesunken, über mir nichts als bleigraues Wasser, durch das sich Ausflugsboote schraubten. An Deck spiegelte sich der Himmel in chinesischen Selfies. Jemand hatte mit weißer Farbe einzelne Worte auf die Trottoirs der Brücken zur Île Saint- Louis und Île de la Cité gestempelt: Ich bin, stand dort oder: Vernunft.Traum.
Vier Worte reichen, um Philosophie auf die Straße zu bringen! Das begeisterte mich. Vier Worte, die wirksamer sind als jede Vorschrift im deutschen Straßenverkehr. Die Franzosen bauen auf ihren Descartes wie auf solide Brückenpfeiler, die bis in die Moderne reichen.Hier trägt kaum jemand einen Fahrradhelm, fährt niemand auf dem Gehweg, auch wenn es keine Fahrradwege gibt. Rote Ampeln und Fahrspuren dienen lediglich als grobe Orientierung. Trotzdem funktioniert der Verkehr.Selbst Kinder überqueren die Straße bei Rot und niemand regt sich darüber auf. Ich nahm den Bus zum Jardin des Plantes, um mich von der Frage abzulenken, weshalb so ein Verhalten bei uns undenkbar wäre. Erschöpft vom Stadtlärm ließ ich mich auf eine Parkbank fallen.
Asseyez-vous, je vous en prie et parlez moi d`amour (Setzen Sie sich und erzählen Sie mir von der Liebe)
las ich auf einem kleinen Metalltäfelchen, das an unauffälliger Stelle auf der Sitzfläche der Bank angebracht worden war. Was für eine Begrüßung! Leichtfüßig sprang ich auf und verliebte mich sofort in weitere Parkbänke, wo spendable Pariser für ihren finanziellen Beitrag zum Erhalt des Gartens eigene Gedanken oder bemerkenswerte Zitate hinterlassen dürfen. Mancher Besucher nickte mir amüsiert zu, weil ich vor den Bänken kniete, um die herzstärkenden Mittel auf den kleinen Täfelchen abzuschreiben. Es sind zu viele, um sie hier alle wiederzugeben. Am besten kommen Sie selbst noch einmal nach Paris und testen die Wirkung, wenn Sie im Botanischen Garten von Bank zu Bank schlendern wie durch ein durch Fantasie geschütztes Areal. Hier ist vieles möglich, was außerhalb der Mauern, die den Park umschließen, schon wegen des Ausnahmezustands schwer vorstellbar ist.
Nous arrivons toujours à l`endroit où nous sommes attendus. (Wir kommen immer da an, wo wir erwartet werden)
Fast hätte ich den riesigen versteinerten Wirbelknochen übersehen, der wie ein Meteorit aus dem All in ein Blumenbeet gestürzt zu sein schien und als eine Art Mahnmal daran erinnert, dass Mensch und Natur irgendwann eine Einheit bildeten.Gehörte der Wirbelknochen einst einem Pottwal? Ich weiß es nicht, aber zusammen mit Pfingstrosenduft, Buchsbaumornamenten und Orangerien ergab sich ein Szenario, das mir den Kopf verdrehte. Das Paradies schien kurzfristig um die Ecke zu liegen. Fast greifbar nah. Mag sein, dass dieses Drehen des Kopfes die nötige Haltung ist, um den Glückszustand wahrzunehmen, den ich so oft vermisse. Wer stets absprungbereit lebt und das Aroma von frisch gepflückten Zitronen fast vergessen hat, wird schnell mutlos. Ich nahm mir vor, auf dem Rückweg eine Tarte Pommes et Compote zu kaufen. Diese unvergleichliche Köstlichkeit müssen Sie unbedingt probieren. Auf einen knusprigen Mürbeteigboden wird zentimeterdick Apfelmus gelöffelt und mit hauchdünn geschnittenen leicht karamellisierten Apfelscheiben belegt. Ich schicke Ihnen das Rezept gern zu. Ein Biss davon genügt, und Sie sind…..Sie wissen schon wo.
à bientôt
Johanna
«Schreiben ist eine Art von Luftwiderstand», von Johanna Hansen illustriert
(Aus einem deutsch-amerikanischen Schriftwechsel, den Johanna Hansen mit dem Schriftsteller David Oates aus Portland/Oregon über zwei Jahre lang führte. Das Buch erschien im Wortschau Verlag mit dem Titel «Schreiben ist eine Art von Luftwiderstand».)
Johanna Hansen, Schriftstellerin, Malerin, Herausgeberin, Studium der Germanistik und Philosophie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelm-Universität Bonn. Lebt in Düsseldorf. Zunächst Sprachlehrerin und Journalistin. 1991 Beginn der künstlerischen Tätigkeit. Seit 1993 zahlreiche Ausstellungen. Seit 2008 literarische Veröffentlichungen als Einzelpublikation, in Literaturzeitschriften, Anthologien und auf Literaturplattformen. Seit 2013 zusammen mit Wolfgang Allinger Herausgeberin der Literaturzeitschrift wortschau. Mehrfache Auszeichnungen. Zuletzt Lyrikpreis Feldkirch 2024.
Sandrine. Notate. Nicht-lineare Erinnerungen eines weiblichen Ichs
„Man kann nicht ohne Liebe lesen. Wenn man schon zuvor ein Bild von einem Text hat, dann weist man ihn ab.“ Hélène Cixous
Ihr Atem ist so leise wie ein Hauch Gänsedaunen. Jetzt, da die Zeit in stehenden Gewässern friert, kann sie die kommenden Verwerfungen spüren. Sie schrauben sich um eine gedachte Achse. Das Gefühl dazu findet sich an keinem Strang. Wie ein Fresko legt es sich auf die Haut. Schicht um Schicht, feucht vermalte Erstarrung.
Erste Texturen falten sich auf. Bislang stets scharfe Umrisse geben die Konturen frei. Eine Art Vorgebirgszone legt sich vor ihr aus, deren Mitte sich ins Freie wölbt, ein Eigenleben führt. Sandrine könnte eine jede sein. Ihr Tagwerk rutscht ins Monochrome ab. Endlos verschleifen sich die Tage, verkürzen sich. Drehen sich nach ihr um.
Paris. Die weiße Wohnung an der Île de la Cité. Je ne suis pas là, ma chère. Die Zeit streckt ihre Fühler aus. Eine Nummer wählen. Dem Rauschen zwischen den Freizeichen lauschen. Laufmaschig zum Quai de Montebello. Taxi!
Rückwärts. Der Steg über den Main. Wasser, das über das Geländer greift. Wände, die auf Tuchfühlung gehen. Flashbacks. She’s like a rainbow. Keine Schonung überdeckt das Danach: Stoßkanten, Risse und ein Verlust, der keiner ist.
Vorwärts. London. Chalk Farm Studios. You are so funny! Stay like this. Peking Duck bei Mr. Chow. Teppiche sind Tagebücher. Sie dämpfen die Gegenwart, mischen sie mit Staub und dem Schlaf der anderen. Abflug.
Französische Provinz. Sandrine inmitten einer Herde Maneches. Waagerecht langgezogene Pupillen, schwarze Köpfe. Sie mischt sich ins wollige Feld: offenporig, körperlos. Voilà.
Zurückspulen. Germersheim. I take you to the backside of the moon. Brachlandig liegen. Furche an Furche. Gleichschaltung zweier Wesen. Augen auf! Es gibt immer ein Dazwischen.
Vorspulen. Zeit ist ein Hüpfspiel. Himmel und Erde, dazwischen Störstellen und haufenweise Glück. Sandrine ist nicht der Diminutiv von Alexandrine.
Jane Wels «Schwankende Lupinen», edition offenses feld, 2024, 80 Seiten, CHF ca. 27.90, ISBN 978-3-7597-2115-0
Jane Wels, 1955 geboren in Mannheim, Magister-Studium der Erziehungswissenschaften, Entwicklungspsychologie und Medienwissenschaften, 1989 erste Lesung im Heine-Haus Düsseldorf, 2024 Debüt mit „Schwankende Lupinen“, Hrsg. Jürgen Brôcan, edition offenes feld, diverse Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften,Anthologien und Online-Magazinen.
singid siba schneeawiissi Schwään übar mis Huus ufam Fluug in Süüda singid Säaga
bringid Freada ear schneeawiissa Schwään vum Noardan in Süüda vum Weschtan in Oschta bringid Freada
singid vu Kraankat Soargan und schtäarba schneawiissi Schwään
singid Läaba singid Säaga bringid Freada
Dämmarschtunda
Si ischt fascht 97gi gsii wo s gschtoarban ischt im Juli 2001 üsari Tanta Fiina leedig roati Hoor s Läaba lang ir Fabrik gschaffat um nünt si hett gäan an Maa khaa und Kiand abar doazmool mit roata Hoor ku Schooss blibscht hoka bim Kilbitaanz
abar im Aaltarshaim haiaiai bis in Moargan iachi taanzat ammana Fäascht jawool di roata Hoor siand iaz jo wiiss schneewiiss wi andari oo
si häat s Läaba ggnossa earscht räacht gäan gsunga regilmäässig a Glääsli Wii
ebs äacht no hundarti wöar
ammana Taag häats gseet as langat iaz bini müad ischt im Bett pleaba häat nümma ggäassa nümma trunka t Ooga zuan und ufa Toad ggwaartat däar ischt nüd gad glai koo
singa häat Pfiina gseet singa
iannari aalta Liadar hommar mittar gsunga Liabi Load Frööd und Toad alls hommar mittar gsunga mänga Schtrooffa
mit vollar Schtimm klaar und tütlig us vollam Häarz häat Pfiina gsunga Köarpar und Gaischt siand langsam varlöscht wi a Kearzaflämmli s Ggmüat häat no häall uusaklunga bisas dar Toad khöart und Pfiina it Aarma ggnoo häat
Gränzschtuua
ir Meatti vum aalta Rii schtoot an Gränzschtuua ufamana Schtuuabett
Als Kiand siammar uufikläattarat aachigjukt uufi aachi uufi aachi is Inland gjukt is Ussland gjukt uuni Pass
Gschichtabömm
Iaadi häat iannari Gschicht
doar Schichta
vu iannarar Moattar sinnar Gschicht
und iannaram Vattar sinnar Gschicht
und doar iannaran Eltara sina Gschichta
woarzlid
I ho
Bim Papa Kuschtar ir Kuchi khokat voar iam uss a Holzkischta ufar Holzkischtan an umkeearti Holzhäardiisapfanna am langa iisaga Schtiil vur Pfanna häat ar dar goldig Töargga ggraschplat ratsch ratsch ratsch Köannli siand it Kischta gschpikt dar läär Rapp häatar it Zuana gwoarffa dian häatar im Wiantar zum aafüüra ggnoo
ii als klänns Möatalidarnäabat khöklat ir Kafìmüüli uf da Knüüna hani Töarggaköanli ggmaalat schtundalang rundummioo iooioo vu Zitt zu Zitt häat dar Papa Kuschtar gseet i ho all han i gfröögat waa hoasst i ho i ho häat dar Papa Kuschtar gseet und häat hööfali gglächlat ammana Taag han i gseet iaz woassis: i ho hoasst joo dar Papa Kuschtar häat hööfali gglächlat ùnd häat gseet
i ho
Napoli
Am Meer Mööfagschrööa kun uanziga Voogil wo singt
bi nüd wägs da Vöögil koo bi wägs dar Muusig doo Rusalka s Määrli vur Nixa und vum Prinz wo nüd hond künna zämmakoo dr Graaba zwüschat Läaban und Toad ischt z tüüf truurig schüüa s Liad an Moo wo t Rusalka singt
la Luna höart s blibt schtumm am Himmil schtoo
Rii rundumm
rundumm Rii ruuschat aanis varbii laadat zum Baada zum Loosan und Luagan ii kunnt eewig goot eewig und ischt all doo
Rii rundumm rundumm Rii kunnt vu mächtiga Bäarg macht is klii wi Zwäarg loot is machtloas am Uufar schtoo übar viar Brugga üübarigoo
Rii rundumm rundumm Rii ischt wi umarmat sii vunnara Kraft wo flüüsst und Läaba bringt
mächtig doarsichtig singt
Uufrumma
kumm häascht di räacht iiggrummat im Läaba iss schu widar Zitt zum uusrumma
Aapassa
Aapassa sì müsstat sì gad aapassa tütsch läanna schaffa wi meear schmeka wi meear täänka wi meear
jò meear täätìd üüs aapassa
As klokat
As klokat a fröndì Frou A üsarì Tööar Uuftùùa Iiacha lòò Ìt Ooga luaga
Sì häat an Namma Ùnd o a Moattar Ìm Hìmmìl
Ùanì wo vòar 2000 Jòòr Säalbar Flüchtlìng Gsii ìscht
Am Taich
Frosch grüüa ufam Searoasablatt o grüüa schüüa Frosch grüüa
Frosch grau ufam gschpriggalatta Schtuua o grau schlau Frosch grau
Frosch schwarz im schwadriga Schwappilschlamm o schwarz
nüd aso schüüa wi Frosch grüüa abar o schlau wi Frosch grau
Berta Thurnherr «Rundumm Rii», Der gesunde Menschenversand, 2023, 184 Seiten, CHF ca. 25.00, ISBN 978-3-03853-134-0
Berta Thurnherr, geboren 1946, lebt als Autorin und Erzählerin in Diepoldsau. 2018 wurde sie mit dem Rheintaler Kulturpreis Goldiga Törgga, 2021 mit dem Anerkennungspreis der Kulturstiftung des Kantons St. Gallen ausgezeichnet. Zahlreiche Veröffentlichungen, unter anderem «As wöart schù wööara, ma tuat wamma kaa» (Buch mit 2 CDs).
Dass er dem Herrn, dem er gerade die Toilettentür aufgehalten und den Lichtschalter gewiesen, einen schönen Tag gewünscht hatte, ließ Horst Bredolsky deutlich spürbar den Schweiß auf die Stirn treten. Bredolsky begann also heftig und weithin sichtbar, wie er meinte, zu schwitzen. Noch konnte er das Zittern der Hände, das für gewöhnlich einen solchen Schweißausbruch in verräterischer Weise zu begleiten drohte, im Zaum halten, doch er wusste, auch das war nur eine Frage der Zeit, eine Frage der Kontrolle, die ihm dieser Tage nur allzu leicht entglitt. Noch aber, so hoffte er, wäre nicht alles gänzlich verloren, wenn er nur so unauffällig, so unbekümmert wie möglich, ohne Stolpern oder Schlurfen, seinen Weg zurück auf seinen Platz finden, sich hinsetzen, ein Bein über das andere schlagen, die Arme locker verschränken, den Blick ungerührt auf das Bild gegenüber heften würde. Noch ist nicht alles verloren, dachte Bredolsky, als er ohne weitere Zwischenfälle den Weg zurückgelegt, am Platz angekommen, sich auf seinen zum Glück noch nicht neu besetzten Stuhl sinken lassen wollte. Noch ist nicht alles verloren, dachte er und setzte sich auf den Stuhl, dessen Polster sogleich ein lautes, wie er meinte, durchaus missverständliches Knarzen im fast voll besetzten Wartezimmer verlautbar machte.
Bredolsky erstarrte. Fixierte das Bild gegenüber, widerstand mit größtmöglicher Selbstbeherrschung dem Impuls, die Augen im Schreck über das vermeintlich unflätige Geräusch zusammen zu kneifen. Viel zu verräterisch wäre das, ein Schuldeingeständnis, wo doch gar keine Schuld bestand, zumindest nicht seinerseits – man müsse dem Hausmeister! Nein, dem Hersteller! Aber doch nicht ihm, nicht Horst Bredolsky! Nein! Bredolsky, das Bild fixieren! Den Blicken ausweichen, sagte sich Bredolsky im fast voll besetzten Wartezimmer. Den Blicken, die ihn zweifelsohne mit Scham und Schande überziehen wollten! So ist der Mensch, dachte Bredolsky, dass er den anderen beschämen möchte, wo es nur geht, der kleinste Anlass ist ihm gerade recht, dachte er im fast voll besetzten Wartezimmer.
Bredolsky schwitzte heftig. So eine furchtbare Situation! So eine unglückliche Verkettung! Schönen Tag noch, hatte er gesagt, als er dem Herrn die Toilettentür aufgehalten und den Lichtschalter gewiesen hatte. Die Toilettentür hatte er ihm aufgehalten und den Lichtschalter hatte er ihm gewiesen, nicht etwa die Eingangstür zur Praxis! Oder die Tür zum Sprechzimmer der Frau Doktor! Oder das Portal in eine fremde Dimension! Irgendetwas, das eine solche Verabschiedung gerechtfertigt hätte, nein! Durchaus hörbar hatte er dem Herrn einen schönen Tag gewünscht, als er selbst gerade das Badezimmer verlassen hatte, sich dem suchenden Herren gegenüber fand und ihm die hinter ihm zugefallene Tür rasch wieder geöffnet und den gerade erst selbst betätigten Lichtschalter gewiesen hatte. Schönen Tag noch, hatteer dem Herrn gesagt, der das fast voll besetzte Wartezimmer, in dem er, Bredolsky, zu allem Unglück auch noch geräuschvoll selbst wieder Platz genommen hatte, sicher gleich wieder betreten würde. Der Herr würde ebenfalls wieder Platz nehmen und dann würden er, Bredolsky und alle anderen Insassen des fast voll besetzten Wartezimmers im schrillen Bewusstsein dieser peinlichen Situation beieinandersitzen. Eine schreckliche, eine fast unerträgliche Vorstellung!
Bredolsky schwitzte heftig und erwog, schnell aufzustehen, seinen Hut zu nehmen und seine Überjacke, das Wartezimmer zu verlassen, einfach zu gehen, den Termin kurzerhand sausen zu lassen. Bredolsky erwog, den Anschein zu erzeugen, die Verabschiedung wäre schließlich gerechtfertigt gewesen. Er erwog, nach Hause zu fahren, sich eigenmächtig krank zu melden, die Jalousien runter zu lassen, sich ins Bett zu legen, Kraft zu sammeln für einen neuerlichen Anruf nach angemessenem Intervall, der Schwester dann zu versichern, er sei wieder ganz wohlauf, ganz und gar körperlich und seelisch imstande, die Untersuchung nun über sich ergehen zu lassen, in sechs bis acht Wochen also hier wieder aufzuschlagen, gefasst und gesammelt und hoffentlich – hoffentlich! –, ohne die Gegenwart des Herrn, dem er einen schönen Tag an der Toilettentür, am Lichtschalter gewünscht hatte, im Gefühl größter Peinlichkeit ertragen zu müssen. Noch, dachte Bredolsky im fast voll besetzten Wartezimmer, hätte er Gelegenheit zur Flucht.
Doch was würden die anderen Wartenden denken? War ein plötzliches Aufstehen und Gehen denn plausibel, wo er doch gerade erst wieder Platz genommen hatte? Hatte er seine Chance nicht schon verspielt, als er nicht direkt nach dem Gang zur Toilette und der unseligen Begegnung seinen Hut und seine Überjacke genommen hatte? Einige der Wartenden saßen schon so lange, waren vor ihm hier gewesen, sie hatten gewiss bemerkt, dass er selbst noch gar nicht aufgerufen worden war. Sie mussten wissen, dass er noch nicht im Sprechzimmer gewesen ist, noch nicht etwa ein Medikament verabreicht bekommen haben konnte, das eine zeitlich begrenzte Überwachung erfordert hätte, nach deren Verstreichen er sich nun hätte verabschieden können. Mussten wissen, dass seine Flucht eben dies war, ein feiger Akt reiner Nervenschwäche! Was sollten sie denken? Sie, die sie ihn beim Anmelden laut, wahrscheinlich zu laut, seinen vollen Namen hatten nennen hören: Horst Bredolsky! Ja, Binsenstraße 1! Bei der Frau Mama, ja, das war noch aktuell! Die Nummer ebenso, ja, Schwester, ja! Horst Bredolsky, würden sie gewiss denken, ein Feigling vor dem Herrn, dem er die Toilettentür aufgehalten und den Lichtschalter gewiesen hatte.
Bredolsky schwitzte heftig und seine Hände zitterten. Gleich würde der Herr, dem er einen schönen Tag gewünscht hatte, durch die Toilettentür treten. Dann würde er selbstsicher und festen Schrittes zu seinem noch nicht wieder besetzten Platz gehen und sie würden sich nun hier gegenübersitzen. Gewiss würde der Herr ihn erkennen, sich wundern, dass er nach dieser Floskel noch hier saß, sich im Geiste über ihn amüsieren, sich über ihn lustig machen, vielleicht nur in Gedanken, vielleicht aber sogar laut etwas Abschätziges äußern wie Ach! oder Na. Bredolsky würde stumm bleiben, stur auf das Bild sehen. Stark bleiben, dachte er im fast voll besetzten Wartezimmer. Und er wusste mit verzweifelter Gewissheit, dass trotz aller Bemühungen seine Beschämtheit rot leuchtend auf sein Gesicht treten würde. Dass dieser peinliche Vorfall grell und blinkend wie ein überdimensioniertes Reklameschild im Raum zwischen ihnen stehen und hämisch auf ihn deuten würde.
Bredolsky schwitzte heftig und zitterte. Was er nur immer den Mund aufmachen musste? Dachte er im fast voll besetzten Wartezimmer. Dass er nicht einfach die Klappe halten konnte?! Dass er überhaupt hergekommen war! Es war alles ein großer Fehler gewesen, ein durch und durch vermeidbares Unglück, das er selbst über sich gebracht hatte. Er löste einen Arm aus der krampfigen Verschränkung und griff in einem Versuch, sich zu beruhigen, in die Innentasche seines Herrenblousons. Ein kleines Heft zog er heraus und begann zu blättern. Nicht so hastig, ermahnte er sich noch selbst, innerlich, im fast voll besetzten Wartezimmer. Es nützte alles nichts, nicht einmal seine Listen, seine fein säuberlichen Eintragungen konnten ihn noch entspannen. Dabei war er vorbereitet gewesen. Hatte den Tag, den Weg hierher akribisch geplant. Seine Notizen studiert. Er wischte sich mit der zittrigen Hand über die schweiß-glänzende Stirn und besah sie dann, als hätte er tatsächlich erwartet, dass ihm Pech vom Haaransatz troff. Aber da war nichts. Nur übermäßig viel Schweiß.
Noch ist nicht alles verloren, dachte Bredolsky, überrascht von sich selbst im fast voll besetzten Wartezimmer. Vielleicht, dachte Bredolsky, hatte er ja einmal Glück. Vielleicht würde ihn die Schwester gleich aufrufen und ihn aus dieser Misere befreien. Doch dann meinte er, leise die Toilettenspülung zu vernehmen. Gleich würde der Herr seine Hände waschen, gleich würde er die Toilettentür öffnen und wieder ins Wartezimmer treten. Bredolsky schwitzte so heftig, dass er spürte, wie ihm kleine Sturzbäche über Nacken und Rücken rannen. Gewiss würde es bald am Stuhl hinablaufen, eine Lache bilden, an die Straßenschuhe der anderen Wartenden branden, die sich dann redlich bemühen würden, ihn nicht mehr anzusehen, die angestrengt in ihren Illustrierten blättern und auf ihre Mobiltelefone starren würden, weil sie so befremdet wären, gewiss, und angeekelt von ihm, Bredolsky, diesem unglückselig wallenden Quell der Geniertheit.
Bredolsky hielt sein Heftchen wie ein Gebetsbuch zwischen den krampfigen Fingern, in seinen Ohren rauschte die Toilettenspülung, das Wasser im Waschbecken lief über vor seinem inneren Auge, es musste ihnen allen längst bis zu den Knien stehen, vermengt mit seinem Schweiß. Die Augen zusammengekniffen hielt er sein Notizheft noch fester umklammert und flehte in Gedanken die Schwester an, ihn zu erlösen. Wünschte sich nichts sehnlicher, als seinen Namen aus ihrem Mund durch die Luft schweben zu sehen, wie einen Rettungsring, nach dem er nur den Arm ausstrecken müsste. Jetzt, Schwester, ich bitte Sie, ich bitte Sie! Eindeutiger konnte doch niemand ertrinken?! Das musste doch für alle und erst recht für sie, die fachkundige Schwester, erkennbar sein, dass hier jemand um sein Leben kämpft! Mit sich selbst ums blanke Überleben ringt!
Das Dröhnen des Händetrockners riss Bredolsky aus seinem Strudel. Und stürzte ihn sogleich in noch gefährlichere Gewässer. Es war also soweit! Die Tür würde sich öffnen, Bredolsky würde in Scham und Schande untergehen! Mit fest geschlossenen Augen hielt Bredolsky tatsächlich die Luft an, als er hörte, wie die Türklinke heruntergedrückt wurde…
“Herr Müller, bitte in Sprechzimmer 1, Herr Müller bitte!”
“Oh, das wär dann wohl… Ja.” Der Herr, der gerade durch die Toilettentür getreten war, durchschritt rasch das Wartezimmer und verschwand in dem Raum, aus dem heraus ihn die Schwester gerufen hatte. Ohne dass sich eine Flutwelle hinter ihm Bahn gebrochen, ohne dass er Bredolsky eines Blickes gewürdigt hätte.
Bredolskys Gesicht hing schlaff und farblos an ihm herab. Von einer abstehenden Haarsträhne fiel ein Tropfen Schweiß. Niemand sah ihn an.
Er würde nie mehr hierher kommen können, dachte er im fast voll besetzten Wartezimmer. Nie mehr herkommen wollen. Die Wände waren für immer gezeichnet vom Pegelstand seiner panischen Hilflosigkeit.
Romina Nikolić «Unterholz. Auszüge aus einem Langgedicht», Edition Muschelkalk, 2023, 72 Seiten, CHF ca. 15.90, ISBN 978-3-86160-588-1
Romina Nikolić, geb. 1985 in Suhl, wuchs in Schönbrunn/Thür. auf, studierte Literaturwissenschaft und Philosophie. Seit 2009 neben der eigenen schriftstellerischen Tätigkeit Organisatorin von Lesereihen und diversen literarischen Projekten, u. a. als freie Mitarbeiterin bei der Literarischen Gesellschaft Thüringen oder Mitbegründerin von Love Crime Books, einem Independent-Label für Fanfiction-Anthologien. Zweifache Preisträgerin beim Jungen Literaturforum Hessen-Thüringen, Walter-Dexel-Stipendiatin der Stadt Jena. Lebt als Projektmanagerin, Lyrikerin und Herausgeberin in Jena.